Amelia Peabody 15: Der Herr des Sturms
und genoss eine handfeste Auseinandersetzung.
»Tut mir Leid, wenn ich dich enttäusche, Selim«, meinte Ramses. »Es sind Touristen, unwahrscheinlich, dass wir sie je wieder sehen. Außerdem war die ganze Sache ein Missverständnis. Der Bursche hat nichts gegen mich.«
»Pfft«, machte Selim.
Nach einer Weile gelangten die Kinder an einen Punkt, den erfahrene Eltern gut kennen; die Tränen flossen häufiger, Labiba schlug Davy, weil er das Baby geschubst hatte. Er schlug zurück.
»Zeit zum Aufbruch.« Nefret trennte die beiden Streithähne. »Sie sind müde.«
»Ganz bestimmt.« Ramses schnappte sich seine Tochter, die zu langatmigen Erklärungen ausholte – vielleicht war es auch Protest. Er verstand nur zwei Wörter. Eines klang wie Suaheli, das andere Schwedisch. Keines hätte in den Zusammenhang gepasst.
Daoud nahm die beiden zappelnden, schmuddeligen Kinder in seine liebevolle Umarmung und reichte sie Ramses und Nefret hoch, nachdem diese aufgesessen hatten. »Du bist ein Dreckspatz«, informierte Ramses seine Tochter. »Was ist dieses lila Zeugs auf deinem Gesicht?«
Sie strahlte ihn verschmitzt an und rieb ihr Gesicht an seinem Hemd.
Wie stets brauchten die Frauen eine halbe Ewigkeit zum Abschiednehmen. Derweil sie noch rasch ein letztes Lebewohl und die allerneuesten Neuigkeiten austauschten, trat Selim zu ihm.
»Wirst du der Sitt Hakim von Hassan und der Sache mit Vaters Grab berichten?«
»Früher oder später erfährt sie es ohnehin. Was hast du, Selim? Ich sehe doch, dass dich irgendwas bedrückt.«
»Ach, nichts von Bedeutung.« Selim zupfte an seinem Bart. »Es ist nur … was hat Hassan getan, dass er sich schuldig fühlt und sühnen muss?«
Emerson tobte, als er entdeckte, dass ich seinen Artikel fertig gestellt hatte. Wir hatten einen erfrischenden kleinen Disput, nachher ließ er sich fluchend dazu herab, meinen Text durchzugehen, und warf mit Füllfedern um sich. Ich gratulierte mir im Geiste zu meinem Einfall, der zwei positive Begleiteffekte hatte: Erstens musste Emerson sich dem Artikel jetzt widmen, was er ohne meine Intervention nie getan hätte, zweitens würde er nicht mehr ständig an den Diebstahl denken und wie er ihn möglicherweise hatte verhindern können. Nach solchen Wutausbrüchen ist mein Gatte immer wie ausgewechselt.
Wie erwartet verschafften unsere Telegramme uns keine neuen Informationen. Thomas Russells Antwort erreichte uns am Samstag. Sein Stil war ebenso spröde wie Emersons: Im Zug sei niemand mit dieser Beschreibung oder diesem Namen gewesen. Mit keinem Wort verlangte er nach einer Erklärung; er kannte Emerson gut genug, um zu wissen, dass er ihm keine liefern würde.
Emerson zerknüllte das Papier und warf das Kügelchen der Großen Katze des Re zu, der daran schnüffelte, es für ungenießbar befand und verschmähte.
Als wir uns auf die Zugfahrt am Sonntagabend vorbereiteten, hatte Sethos noch immer nicht reagiert. Emerson hatte ihm an seine beiden Anschriften telegrafiert. Auf meine Bitte hin zeigte er mir den Text, und ich muss sagen, er hatte die nötigen Informationen kommuniziert, ohne die Fakten preiszugeben. Das wäre auch katastrophal gewesen, denn die Angestellten im Telegrafenamt hätten die Nachricht in ganz Luxor verbreitet.
Cyrus’ erste Entrüstung war einem Zustand tiefer Melancholie gewichen. Er hatte mit sich selbst gehadert, ob er nach Kairo fahren und den Dieb verfolgen oder ob er im Schloss auf die verbliebenen Artefakte aufpassen sollte. Er entschied sich für Letzteres, nachdem ich ihm erklärt hatte, dass Martinelli zwar der Polizei entwischt sei, wir aber keinerlei Beweis hätten, ob er sich tatsächlich in Kairo aufhielt. Allein bei dem Gedanken, dass der Übeltäter in der Nähe herumlungern und auf eine Gelegenheit warten könnte, einen erneuten Vorstoß auf den Schatz zu machen, brach Cyrus der kalte Schweiß aus. Er begleitete uns nicht einmal zum Bahnhof.
Andere Freunde sowie Familienmitglieder waren dort. Daoud hielt es für seine Pflicht, uns seine guten Wünsche mit auf den Weg zu geben; bei solchen Gelegenheiten trug er stets seine eleganteste Seidenrobe, allerdings schmollte er ein wenig, weil er zu gern mitgekommen wäre. Die Zwillinge hatten wir ebenfalls zurückgelassen. Wenn ich ihre Argumentation richtig deutete, waren sie zutiefst empört, dass sie mehrere Tage lang ohne Eltern und Großeltern auskommen sollten. Emerson, der überaus feige ist im Hinblick auf Kinder und Frauen, hatte sich ohne nähere
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