Amelia Peabody 15: Der Herr des Sturms
sie mit Misstönen rechnen, wenn Lord Milners Kommission eintrifft, aber darauf wären wir auch ohne ihn gekommen.«
»Was wollte er mit seinen Andeutungen über Unruhen hier in Luxor bezwecken?«, erkundigte sich Walter. »Wenn ein Aufstand droht, müssen Frauen und Kinder in Sicherheit gebracht werden.«
»Blödsinn«, sagte Evelyn seelenruhig.
»Absoluter Blödsinn«, bekräftigte Emerson. »Selim würde solche Gerüchte lange im Voraus erfahren, und die Bewohner von Luxor haben uns schon im letzten Jahr keinerlei Probleme gemacht.«
»Was ist mit dir, David?«, forschte Walter. »Der Bursche hat dich nicht aus den Augen gelassen. Du hast mir zugesagt, du wolltest deine Verbindungen zu den Nationalisten abbrechen. Deine Verantwortung für deine Frau und deine Kinder …«
»Das ist mir sehr wohl bewusst«, fiel David ihm ins Wort. Er hatte seinen Schwiegervater immer respektvoll behandelt; die Unterbrechung und seine zusammengebissenen Kiefer waren die einzigen Anzeichen für seinen mühsam unterdrückten Ärger. »Ich habe dir mein Wort gegeben, und ich habe es nie gebrochen.«
»Warum hat dann dieser … dieser Smith das Thema angeschnitten?«, wollte Walter wissen. »Es klang wie eine Unterstellung.«
»Oder eine Warnung«, murmelte ich. Auf einmal sprachen mehrere Familienmitglieder gleichzeitig, Lia verteidigte hitzig ihren Mann, Evelyn versuchte ihren Mann zu beschwichtigen, und Emerson überbrüllte alle. »Du bist derjenige, der hier verdammte Unterstellungen macht, Walter. Das könnte ihm so passen, dass dieser Bas… ähm … dieser Bursche Smith einen Keil zwischen uns treibt!«
»Wie wär’s mit einem schönen Whisky-Soda?«, schlug ich vor. Verdrießlich murrend stapfte Emerson zum Büfett, während ich mich lächelnd dem kleinen Jungen zuwandte, der sich schüchtern an mich heranpirschte. »Willst du mir ein neues Bild zeigen, Dolly? Wie schön! Es ist sehr gut, wirklich gelungen. Zeig es Opa Walter.«
»Er ist ein richtiges Talent«, sagte Evelyn stolz.
»Es ist ein Esel«, erklärte Dolly. »Ich reite darauf.«
»Ja, das sehe ich.« Walters verkniffene Miene entspannte sich. »Noch dazu ein sehr schöner Esel. Mmh … wieso hat er sechs Beine?«
»Weil er läuft.« Dolly nahm ihm das Blatt weg und inspizierte es kritisch. »Ich denke, ich werde ihm noch mehr Beine malen. Er läuft nämlich sehr schnell.«
Das naive Geplapper des Kleinen milderte die Anspannung. Ich fragte mich, ob er die Missstimmung zwischen seinem Vater und seinem Großvater bemerkt hatte; er war ein sehr sensibler Junge. Walter blickte David schuldbewusst an. »Entschuldige. Es ist nur, dass ich …«
»Schwamm drüber.« David konnte niemandem lange böse sein. Seine dunklen Augen waren voller Zuneigung und Verständnis.
»Was sind das da für Unterlagen, Walter?«, fragte ich und nahm ein Glas Whisky von Emerson.
»Welche Unterlagen?«, versetzte Walter verwundert.
Evelyn hob sie vom Boden auf und reichte sie ihm. »Er arbeitet an einem sehr wichtigen Manuskript«, erklärte sie. »Ich nehme an, du willst uns deine Übersetzung vorlesen, Walter?«
»Oh ja, um sicherzugehen.« Walter glättete die Seiten. Jemand hatte auf eine der Rückseiten etwas gezeichnet, das wie eine Pyramide aussah.
»Hatte nicht erwartet, dass er seine Arbeit zu einem geselligen Beisammensein mitbringt«, knurrte Emerson. »Ramses, sieh dir das mal an.« Er zog eine Rolle Papier hinter seinem Sessel hervor und reichte sie ihm.
»Davids Arbeit?« Ramses betrachtete eine akribisch mit Tusche gezeichnete Teilansicht des Sarkophagdeckels.
»Evelyns«, korrigierte Emerson. »Das hier ist von David. Er hat die kostbaren Applikationen der Robe auf Papier übertragen.«
»Beides ist großartig gelungen«, sagte Ramses mit aufrichtiger Bewunderung.
»Leg sie weg, bevor noch jemand Tee darauf kleckert«, schalt ich. »Du hättest sie ebenfalls nicht zu einem geselligen Beisammensein mitbringen sollen.«
Emerson ignorierte meinen Seitenhieb. »Wie lange wollt ihr noch an Vandergelts Sammlung arbeiten? Wie viele Objekte kopieren?«
»Wir könnten Jahre damit zubringen«, antwortete David, eine Tasse Tee von mir annehmend. »Aber das wäre wenig sinnvoll. Wir werden uns auf die wichtigsten und empfindlichsten Stücke beschränken. Die Entscheidung liegt bei dir und Cyrus.«
Emerson öffnete den Mund, doch bevor er seine Meinung kundtun konnte, mischte ich mich ein. »Wir werden eine kleine Komiteesitzung einberufen, Emerson, und uns mit
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