Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
gestürzt kam. »Was in aller Welt«, fing sie an.
»Vermutlich war es nur die Hitze«, gab ich zu bedenken, als sie sich stirnrunzelnd über die junge Frau beugte. »Ich brauche Wasser.«
Einige Spritzer dieses lebensspendenden Elixiers auf Gesicht und Hals und Miss Campbell kam wieder zu sich. Sobald sie registrierte, wo sie sich befand, errötete sie tief und rappelte sich mühsam auf.
»Mary … Mary, Liebes«, rief ihr Bruder und versuchte sie zu stützen. »Es liegt alles in Gottes Hand. Himmlischer Vater, hilf uns, führe uns!«
»In diesem Fall wären Sie besser beraten, wenn Sie auf meine Hilfe vertrauten«, sagte ich ärgerlich. »Schätze, Sie haben noch nicht einmal eine Unterkunft gefunden, stimmt’s? Nehmen Sie Ihre Schwester mit in das Rasthaus der Regierung und ziehen Sie ihr die einengenden Sachen aus. Sie muss ihre Wangen kühlen und viel Wasser trinken. Ramses wird sie tragen, wenn sie nicht laufen kann.«
»Daoud«, meinte Ramses knapp.
»Oh«, entfuhr es mir. »Ja, das wäre sicher sinnvoll.«
Sie zogen mit ihrem Gepäck – zwei Koffern und einer kleinen Reisetasche – los. Daoud trug das Mädchen mit einer Leichtigkeit, als wäre sie ein Kätzchen. Er grinste über das ganze Gesicht.
Als er zurückkehrte, hatte Emerson, der das kleine Drama verpasst hatte, bereits für alles gesorgt. Unsere Transportkisten waren eingelagert, mit Ausnahme des Reisegepäcks, auf das unsere Männer aufpassten.
»Liebste Peabody, du kannst es bestimmt kaum erwarten, dich aus … – ähm – umzuziehen und ein schönes Bad zunehmen.«
»Ich habe heute Morgen schon gebadet«, versetzte ich. »Na ja, wenn man die trübe Brühe auf dem Schiff Bad nennen kann. Ich bezweifle aber stark, dass das offizielle Rasthaus wesentlich komfortabler ist.«
»Wer hat denn was von Rasthaus gesagt?« Emerson bot mir seinen Arm.
»Oh nein, Emerson«, wehrte ich mich entschieden. »Nicht bei deinem lieben alten Freund Mahmud – wie hieß er noch gleich?«
»El Araba«, grinste er. »Dein Protest ist mir unbegreiflich, meine Liebe. Er war doch überaus gastfreundlich. Außerdem ist der arme alte Kerl seit vielen Jahren tot.«
»Einerlei, lasst uns endlich aufbrechen«, warf Nefret ungeduldig ein. »Hassan braucht Ruhe und ins Krankenhaus kommt er erst, wenn ich ihn dort gut aufgehoben weiß.«
Wadi Halfa markiert die Grenze zwischen Ägypten und dem anglo-ägyptischen Sudan; der einstmals rührige Militärposten war mittlerweile ein ruhiges, hübsches Städtchen, Hauptstadt der Provinz gleichen Namens. Wir ließen die deutschen Touristen zurück, die noch immer lautstark mit dem Bahnhofsvorsteher argumentierten, und gingen zu Fuß zum Stadtzentrum, wo sich ein Hospital und mehrere Regierungsgebäude befanden. Über einem weiß gekalkten, flachgestreckten Ziegelbau flatterten die britische und die ägyptische Flagge. Das hob meine Laune spontan.
»Ist der Mudir auch ein alter Freund von dir, Emerson?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Herrschaftszeiten, wo denkst du hin!« Emerson schien so schockiert, als hätte ich ihm eben eine Freundschaft mit dem leibhaftigen Teufel angedichtet. »Die Mudire sind durchweg britische Beamte. Der örtliche Mamur heißt Nur ed Din, ein großartiger Bursche, kenne ihn noch aus der Zeit, als er Waffen nach Kordofan schmuggelte. Kommt, hier entlang.«
Wir wurden bereits erwartet und der Mamur begrüßte uns mit aller Herzlichkeit. Die Nubier sind ein ungemein reinliches Volk, die einzigen mir bekannten Ausnahmen waren Emersons Bekannte, was mehr über das Sauberkeitsempfinden meines Mannes aussagt als über seine Freunde. Das Haus des Mamurs war groß und selbst für meine Begriffe sehr gepflegt, die dicken Wände aus Schlammziegeln mit geschmackvollen Dekoren bemalt. Seine Diener führten uns in eine gemütliche kleine Gästesuite mit mehreren Schlafräumen. Es gab tatsächlich ein Bad. Als Erstes legten wir Hassan, der mit Morphium gegen die Schmerzen vollgepumpt war, ins Bett.
»Und?«, meinte Emerson. »Ist das nicht besser als diese verdammte Regierungskaschemme? Hier sind wir wenigstens unter uns.« Er zwinkerte mir vielsagend zu. »Ohne diese nervenden Missionare mit ihrem ewigen Herumgejaule.«
Ramses hatte seine Koffer genommen und sich ein Zimmer gesucht. Ohne Gepäck tauchte er wieder auf. »Ihr erratet nie, wen ich gesehen hab«, grinste er. »Doch«, versetzte Emerson gönnerhaft. »Ich hab Merasen erklärt, dass er uns hier treffen soll, und den Mamur gebeten, ein Auge auf
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