Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
Mädchen auf, das Newbold aus der kraftlosen Umklammerung glitt. Sie war leicht wie eine Feder. Als sie die Lider aufschlug, war ihr Blick leer. Sie schloss die Augen wieder und schmiegte den Kopf an seine Brust.
»Bring sie zu deiner Mutter, Ramses«, ordnete Emerson an. Er hielt die schwere Flinte so lässig mit einer Hand, als wäre sie eine Pistole. »Kommen Sie, Newbold. Das kurze Stück schaffen Sie jetzt bestimmt auch noch.«
Nefret entwischte Selim und lief Ramses entgegen. »Ist sie verletzt? Das arme kleine Ding, was musste dieser brutale Kerl sie auch mit herbringen! Leg sie in mein Zelt.«
Ramses ließ die beiden allein, sobald sie Daria die staubigen Sachen auszog. Das Mädchen sagte keinen Ton, obwohl sie inzwischen wieder bei Bewusstsein war; ihre riesigen, dunklen Augen folgten ihm, als er aus dem Zelt schlüpfte.
Seine Mutter kümmerte sich in ihrer resoluten Art um Newbold. Sie tastete die Prellung in seinem Gesicht so intensiv ab, dass er protestierend aufstöhnte, und riss ihm den Becher Wasser aus der Hand. »Ihre Verletzung ist nur oberflächlich. Trinken Sie nicht so viel Wasser auf einmal; das sollten Sie doch inzwischen wissen!«
»Das ist nicht mein Klima«, murrte Newbold. »Danke, Mrs Emerson. Kann ich mich jetzt hinlegen und ein bisschen schlafen? Ich hab fast zwanzig Stunden auf diesem Kamel gesessen.«
Ramses musste den Mann bewundern; er benahm sich, als wäre er ein geladener Gast. Allerdings machte seine Ungezwungenheit auf Selim und Daoud, die den Jagdaufseher wie zwei Gefängniswächter beobachteten, keinen Eindruck. Emersons Miene verdüsterte sich zusehends.
»Die – ähm – junge Dame ja wohl auch. Wie geht es ihr, Ramses?«
»Schätze, sie ist völlig übermüdet und durstig, weiter nichts. Nefret kümmert sich um sie.«
»Also dann, Newbold, raus mit der Sprache«, sagte Emerson. »Sie können ausruhen, wenn Sie uns erzählt haben, was Sie hier wollen. Vermutlich lügen Sie sowieso, aber ich reime mir die Wahrheit schon zusammen.«
»Was soll ich lügen?«, versetzte Newbold eisig. »Ich bin Ihnen seit Kairo auf den Fersen. Dort hab ich einiges gehört, was mich vermuten lässt, dass Sie etwas Lukrativeres im Auge haben als ein mickriges Ausgrabungsgelände. Als Sie in Abu Hamed außerplanmäßig aus dem Zug stiegen, fand ich meine Einschätzung bestätigt. Sie wollten von Ihrem eigentlichen Reiseziel ablenken, stimmt’s?« Seine Stimme war nur noch ein heiseres Krächzen. »Mrs Emerson, kann ich noch einen Schluck Wasser bekommen?«
Stirnrunzelnd reichte sie ihm den Becher. »Fahren Sie fort, Mr Newbold.«
»Wir sind in Berber ausgestiegen und haben uns Kamele und Treiber besorgt. Als wir in Nuri ankamen, waren Sie gerade fort, aber die schwatzhaften Dorfbewohner erzählten mir bereitwillig, welchen Weg Sie genommen hatten. Es war nicht weiter schwierig, Ihnen zu folgen, da Sie nur ein paar Stunden Vorsprung hatten. Dann kamen die bereits erwähnten Probleme – eine Bande von Plünderern. Sie haben meine Männer kaltblütig erschossen. Etwa einen Tagesritt von hier entfernt ist ihr Lager, dort gibt es auch einen Brunnen.«
Wieder versagte ihm die Stimme. Er nahm noch einen Schluck Wasser. »Sie wollten Daria und mich nur gegen entsprechendes Lösegeld freigeben. Darauf mochte ich es nicht ankommen lassen. Gestern Morgen, mehrere Stunden vor Sonnenaufgang, ritten die meisten Männer weg und ich witterte meine Chance. Schnappte mir eins von meinen Kamelen und Daria und flüchtete.«
»Eine riskante Flucht, finden Sie nicht?«, bohrte Emerson. »Wieso sind Sie nicht in Richtung Fluss geritten, statt uns zu suchen – sozusagen die Stecknadel im Heuhaufen?«
Newbold musterte ihn ausdruckslos. »Aber vermutlich sind Sie der Spur der Plünderer gefolgt«, räumte Emerson ein. »Können von Glück reden, dass Sie denen auf ihrem Rückweg nicht begegnet sind, was? Ach, Teufel noch.
Hol ihm eine Decke, Daoud, und bewach ihn, bis ich dich ablöse.«
Die Sonne stand bereits so hoch am Himmel, dass die heiße Luft am Boden flirrte. Ramses hörte, wie seine Mutter leise vor sich hin summte. Es war eines ihrer Lieblingslieder von Gilbert und Sullivan.
»Alles in Ordnung, Mutter?«, hob er an. »Was machen wir jetzt mit dem Halunken?«
»Ihn fesseln und hier lassen«, sagte Selim prompt.
»Wir schnüren die Knoten so locker, dass er sich nach unserem Aufbruch befreien kann. Wir können ihm ja ein Kamel und so viel Wasser dalassen, dass er den Nil erreicht.«
»Das
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