Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
schwanden und ich ohnmächtig wurde und der von Kemit geholte Rettungstrupp uns in letzter Minute fand.
Also dann … wohlig erschauernd schwante mir, dass unser Ziel nur noch wenige Stunden entfernt lag. An den letzten Teil der Reise erinnerte ich mich kaum mehr, da ich damals bis zu unserer Ankunft in der Stadt des Heiligen Berges im Koma gelegen hatte. Auf unserer Rückreise, besser gesagt »Flucht«, hatten wir nur angehalten, um uns frische Kamele zu besorgen. Die Oase war ein hübsches Fleckchen gewesen, mit schattenspendenden Palmen und blühenden Gärten. Ich konnte durchaus nachvollziehen, dass die Wüstenstämme um solche fruchtbaren Orte kämpften, denn sattes Gras war für sie kostbarer als Gold und Edelsteine. Inzwischen sehnte ich mich nach ein bisschen Grün, nach Schatten und frischem Wasser – und nicht zuletzt nach einer Nachricht von unserem Freund. Als Emerson kurz nach Mitternacht Rast machen wollte, protestierte ich heftig.
»Wenn wir weiterziehen, erreichen wir die Oase bestimmt schon morgen Früh, Emerson. Ich sehne mich nach ein bisschen Grün, nach Schatten und frischem Wasser –«
»Ja, ja. Komm schon, Peabody, du weißt genau, dass wir nicht blindlings durch die Dunkelheit reiten dürfen. Tarek hat dort eine Garnison eingerichtet, mit dem Ziel, neugierige Besucher fern zu halten.«
»Du hast ja Recht, Emerson«, räumte ich großzügig ein. »Aber ich sehne mich so –«
»Nefret auch«, schnitt Emerson mir das Wort ab. Die Männer fingen an, die Zelte aufzubauen und die Kamele abzuladen, worin sie inzwischen Routine hatten. Selim brühte Tee auf.
»Wir haben kaum noch Feuerholz, Sitt«, bemerkte er.
»Halb so schlimm, Selim. Morgen sind wir bei unseren Freunden, da bekommen wir alles, was wir brauchen.«
Wenigstens hoffte ich das. Wenn Merasen auch nicht zu trauen war, so reisten wir doch in der festen Überzeugung, dass Tarek uns tatsächlich brauchte. Etwas anderes wagte ich gar nicht zu mutmaßen! Er erwartete uns bestimmt, hatte aber zwangsläufig keine Ahnung, wann.
»Ah«, entfuhr es Selim. »Und dann werden wir den da los, hm?«
Er deutete mit einem herablassenden Kopfnicken zu Newbold, der eben zum Feuer schlenderte. Der Bursche hatte sich ziemlich gehen lassen. Niemand von uns war momentan gesellschaftsfähig, denn an ein Bad war gar nicht zu denken, aber immerhin wuschen wir uns regelmäßig mit einer kleinen Wasserration. Ramses hatte sich sogar jeden Tag rasiert, ohne ständig dazu angehalten zu werden. Bei Emerson stieß ich auf taube Ohren. Er trug inzwischen einen prachtvollen und – gottlob – gepflegten Bart, was man von Newbold nicht behaupten konnte. »Kann ich eine Tasse Tee haben?«, knurrte der Groß wildjäger. »Oder bin ich weiterhin Luft für Sie?«
»Sie haben noch immer alles bekommen, also beschweren Sie sich nicht«, erwiderte ich und reichte ihm eine Tasse.
Eigentlich wollte ich noch kurz mit Nefret plaudern, aber sie hatte sich mit Daria in ihr Zelt zurückgezogen, und als ich näher kam, war die Eingangsplane verschlossen. Ich ahnte, was in ihr vorging; wochenlang hatte sie sich um den kleinen Jungen, Tareks Erben, gesorgt und ob sie ihm und seinem Vater noch rechtzeitig würde helfen können. In wenigen Stunden würde sie es wissen und diese Anspannung war gewiss nervenzermürbend. Ganz offensichtlich mochte sie nicht gestört werden, weshalb ich ihr meine Gesellschaft nicht aufzwang.
Wir hatten abnehmenden Mond und die Luft war eisig. Bibbernd zog ich mich in mein Zelt zurück. Mir war klar, dass ich nicht eine Sekunde Schlaf finden … Ein lauter Schrei weckte mich unsanft auf. Ich schüttelte Emersons Arm ab, krabbelte über ihn, schnappte mir meinen Schirm und trat hinaus in die kühle Dämmerung.
Das Lager war umstellt von regungslosen Gestalten, dunkel aufragend vor einem bleichen Morgenhimmel. Sie waren größer als Normalsterbliche, ihre Köpfe seltsam deformiert, und jeder von ihnen trug eine lange Lanze.
»Freunde?«, raunte Selim mir zu. Er war zeitig aufgestanden, um Feuer zu machen, und sein Schrei hatte alle geweckt. Seine Panik konnte ich ihm kaum verdenken, gleichwohl realisierte ich mit zunehmender Helligkeit, dass der scheinbar abnorme Riesenwuchs der Neuankömmlinge daher rührte, dass sie auf Kamelen thronten und helmartige, federgeschmückte Kopfbedeckungen trugen. Die Speere waren beeindruckend lang, um ihre Schultern hatten sie Bogen und Pfeilköcher geschlungen.
Emerson, der so ziemlich als Letzter auftauchte,
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