Amelia Peabody 17: Die Schlangenkrone
das fragliche Geschwisterpaar bemerkt. In Minia erklärte ein Obstverkäufer, er habe einer Dame mit dunklen Haaren und einer tiefen Männerstimme Orangen verkauft. »Aiwa, da war ein Gentleman bei ihr, aber er kam nicht ans Abteilfenster. Er überließ ihr das Feilschen und das Bezahlen der Früchte.«
»Sie haben den Zug also nicht verlassen?« erkundigte sich David.
»Nein. Ah, gesegnet seiest du für deine Großzügigkeit, Effendi!«
Der Zug fuhr erneut an. »Das war der letzte offizielle Halt vor Kairo«, meinte David und schloß das Fenster vor dem hereinwirbelnden Staub, der durch sämtliche Ritzen drang. »Der Zug hält natürlich bei Bedarf auch an anderen Bahnhöfen. Von daher können sie überall ausgestiegen sein.«
»Aber nicht mitten in der Nacht.« Ramses zündete sich eine weitere Zigarette an. Er war nervös und rauchte mehr als sonst. »Zudem gibt es in den kleineren Orten keine passablen Hotels. Vermutlich wußte sie das.«
»Wenn du mich fragst – die ganze Geschichte kommt mir ziemlich aussichtslos vor. Irgendwie müssen sie der Polizei in Kairo entwischt sein.«
»Es gibt noch einen weiteren Zwischenstopp«, wandte Ramses ein.
»Verflucht, du hast recht. Badraschein. Das liegt so nah bei Kairo, daß man es gern vergißt. Meinst du, dort haben wir mehr Glück?«
»Sie könnten gegen Mittag angekommen sein. Von dort reisen die Touristen nach Sakkara und Memphis weiter.«
»Womöglich haben sie sich unter eine dieser Gruppen gemischt«, seufzte David frustriert.
»Es gäbe da noch andere Alternativen. Vielleicht haben sie eine Droschke gemietet, um nach Kairo oder zum Mena House zu kommen, von wo aus man bequem mit der Straßenbahn weiterfahren kann.«
»Weck mich, wenn wir da sind«, murmelte David, den Kopf gegen das Sitzpolster gelehnt.
Ramses hatte ein Buch mitgenommen, konnte sich aber nicht konzentrieren. Ständig hatte er Harriet Pethericks Gesicht vor Augen. Nicht das des verführerischen Pseudo-Vamps, sondern das einer jungen Frau, die seinen Blick offen erwiderte und deren Züge weich wurden, wenn sie lächelte.
Und er sah wieder die Blutergüsse – auf ihren Armen, wo Hände sie vermutlich grob gepackt hatten. Allein aus Taktgefühl war er darüber hinweggegangen, bis ihm schwante, daß sie vermutlich eher von ihrem Bruder stammten als von einem leidenschaftlichen Liebhaber. Harriet war nicht der Typ Frau, der sich mit irgendwelchen Männern in Hotelzimmern vergnügte.
Es war bereits nach Mitternacht, als der Zug in Badraschein einlief. Er und David und ein paar wenige Reisende stiegen um diese nachtschlafende Uhrzeit aus. Eine Droschke zu finden war überhaupt kein Problem. Die vagen Auskünfte der Kutscher halfen ihnen leider auch nicht weiter.
Viele Menschen seien am Vortag mit dem Mittagszug angekommen. Zudem sähen die Fremden alle gleich aus. »Wohin jetzt?« wollte David wissen, als sie in die Droschke stiegen.
»Zum Mena House, schlage ich vor. Dort können wir auch übernachten – wenn wir ein Zimmer bekommen. Momentan ist Hochsaison.«
Das berühmte Hotel am Fuße des Pyramidenplateaus war ausgebucht. Da Ramses und seine Familie dort aber keine Unbekannten waren, gab man ihnen eine noble Suite, die für besondere Gäste reserviert war. Als sie sich nach ihren »Freunden« erkundigten, die am Vortag eingetroffen seien, versicherte ihnen der Mitarbeiter am Empfang, daß niemand mit Namen Petherick eingecheckt habe. Er könne sich an keine Dame erinnern, auf die ihre Personenbeschreibung passe. Und die Adrians treffe auf etliche männliche Gäste zu.
»Dann haben sie von Badraschein eine Kutsche nach Kairo genommen.« Herzhaft gähnend fischte David einen Schlafanzug aus seiner Reisetasche. »Wird keine einfache Sache werden, die zwei zu finden. Schließlich gibt es Dutzende von Hotels.«
»Sollen wir es lieber lassen?«
»Im Gegenteil. Ich schwelge gern mal in einem solchen Luxus wie hier.«
Am nächsten Morgen nahmen sie die Straßenbahn nach Kairo. Keinem der Schaffner waren die Pethericks aufgefallen.
Emerson hatte tatsächlich vor, seinen Bruder mit in die Grabungsarbeiten einzuspannen – oder, besser gesagt, ihn dazu zu verdonnern.
»Ich könnte doch auch hierbleiben und ein Auge auf Katschenowsky haben«, bot Sethos in einem letzten verzweifelten Versuch an. »Und den Kleinen Geschichten erzählen.«
»Deine Geschichten kenn ich«, gab Emerson zurück. »Neulich hat David John mir allen Ernstes einen Vortrag gehalten, wie man Uschebtis optimal
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