Amelia Peabody 17: Die Schlangenkrone
versetzte dem jungen Petherick einen gezielten Schlag, packte ihn am Revers und brachte ihn zu Boden. Harriet glitt neben ihren bewußtlosen Bruder und bettete seinen Kopf in ihren Schoß.
Ihre tränenfeuchten Augen suchten Ramses’ Blick. »Er hat sie nicht umgebracht. Ich war’s.«
»Nicht noch ein geheimnisvolles Verschwinden!« Emerson hob Augen, Fäuste und Stimme gen Himmel. »Nicht schon wieder eine Heimsuchung durch den verfluchten schwarzen Dämon!«
Bertie hatte sich offenbar in großer Hektik angezogen. Er trug keinen Hut, sein Hemd war nur halb zugeknöpft, die Stiefel nicht geschnürt.
»Nein«, japste er atemlos vor Aufregung. »Sie wollte ins Westtal. Sie hat einen Brief dagelassen.«
Er zeigte dem Professor das zerknüllte Stück Papier mit Jumanas schön geschwungener Schrift. Nach Ansicht des jungen Mädchens hielt sich Lidmann im Westtal auf, zumal er sich dort bestens auskannte und vermutlich von Cyrus’ großzügig gefüllten Picknickkörben vorher etwas abgezweigt hatte. Sie habe sich allein auf die Suche gemacht, weil sie flinker und geräuschloser sei als eine Horde behäbiger Männer.
»Cyrus meinte, ich soll Sie holen«, fuhr Bertie fort. »Er ist schon vorausgeritten.«
»Allein?« blökte Emerson. »Gute Güte, er ist genauso töricht wie Jumana. Wir müssen ihnen auf der Stelle hinterher.«
»Aber Emerson, nun beruhige dich doch«, beschwichtigte ich ihn. »Meiner Meinung nach –«
»Verzeihen Sie, Mrs. Emerson«, fiel Bertie mir ins Wort, »aber Ihre Meinung interessiert jetzt nicht. Höchstwahrscheinlich ist Lidmann nicht dort, trotzdem dürfen wir kein Risiko eingehen.«
Ich ließ seine Bemerkung unkommentiert im Raum stehen, obwohl man mir für gewöhnlich nicht widerspricht, und schloß mich den beiden an.
Emerson und Bertie legten ein Mordstempo vor und waren mir ein ganzes Stück voraus. Erst im Westtal stieß ich wieder zu ihnen. Nicht weit vom Grabmal Amenophis’ III. debattierten sie mit Cyrus.
»Weit und breit keine Spur von ihr«, berichtete Cyrus.
»Ich hab das ganze Tal abgesucht und laut nach ihr gerufen.«
»Was ist mit ihrem Pferd?« erkundigte ich mich, da ich nur vier Reittiere zählte.
»Sie ist zu Fuß gegangen.« Cyrus zupfte nervös an seinem Spitzbart. »Über einen der Klippenpfade. Hoffentlich ist sie nicht gestürzt. Wenn sie sich nun ernsthaft verletzt hat und mir gar nicht antworten konnte?«
»Sie klettert wie eine Bergziege und kennt hier jeden Stein«, sagte ich, um Cyrus zu beruhigen. »Lassen Sie uns logisch vorgehen. Wir wandern durch das Tal bis zum Grabmal von Aja, wo Sie gearbeitet haben.«
Die hoch am Himmel stehende Sonne tauchte das nackte Gestein in grelles Licht, Schatten fand man nur unter den östlichen Klippen. Nichts bewegte sich, niemand antwortete auf Emersons fortwährendes Rufen. Als wir das Grab von Aja erreichten, saßen wir ab und ließen unsere braven Pferde zurück.
»Entweder hört sie uns nicht, oder sie will nicht reagieren«, meinte Emerson. Er übernahm wie üblich das Kommando. Sein nächster Befehl offenbarte eine Möglichkeit, an die niemand von uns denken mochte. »Bertie, Sie und Cyrus gehen in diese Richtung, Peabody und ich arbeiten uns auf der Westseite vor. Bleiben Sie in Rufweite.«
Es war eine zähe, bedrückende Suche. Bedrückend in jeder Hinsicht, denn zu der Hitze und dem beschwerlichen Weg trat die wachsende Angst um Jumana. Wir spähten in jede Felsspalte, jeden Krater, jedes Erdloch, mit der ständigen Panik, dort unten einen zerschmetterten Körper zu erblicken. »Vielleicht hat sie die Suche aufgegeben und ist ins Schloß zurückgekehrt.«
Emerson schnaubte verächtlich.
Lautes Rufen von Bertie ließ uns innehalten, und wir liefen hastig in ihre Richtung. Sie waren gar nicht weit weg von uns, doch konnten wir sie wegen des felsigen Geländes zunächst nicht ausmachen. Sie standen vor dem unvollendeten Grab, das wir kürzlich inspiziert hatten – Nr. 25. Cyrus hatte die Arme um seinen Stiefsohn gelegt und hielt ihn krampfhaft fest. In der Graböffnung gewahrten wir zwei Gestalten. Lidmanns teigiges, unrasiertes Gesicht zeigte Spuren von Erschöpfung, aber er hatte immerhin noch die Kraft, Jumana gewaltsam an sich zu pressen. Ihre Hände und Füße waren gefesselt; über dem Knebel blitzten ihre Augen vor ohnmächtigem Zorn. Der Deutsche hielt ein Messer auf ihre Brust gerichtet.
»Stehenbleiben!« brüllte er. »Kommen Sie ja keinen Schritt näher.«
»Sie haben es gehört,
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