Amelia Peabody 17: Die Schlangenkrone
keine Rolle spielte; was mir unendlich lang vorkam, war für ihn nur ein kurzer Augenblick. Wir hatten über so vieles geredet, und ich vermochte beim besten Willen keine Bezüge auf Amarna oder Echnaton zu finden.
Nachdem Nefret ihre Patienten behandelt hatte – eine entzündete Zehe und ein Fall von Bindehautentzündung –, gesellte sie sich zu mir auf die Veranda.
»Was wollen denn die ganzen Leute da draußen?« fragte sie und ließ sich eine Tasse Kaffee von Fatima einschenken. »Haben die nichts Besseres zu tun?«
»Viele Leute werden schier erdrückt von Langeweile«, seufzte ich, »weil sie mit ihrer Zeit nichts anzufangen wissen.«
»Wer ist denn der Typ mit dem schreiend bunten Jackett und dem breitkrempigen Hut?«
»Mit ziemlicher Sicherheit ein Journalist«, schnaubte ich. »Diese Ganoven erkenne ich kilometerweit. Gute Güte, der Kerl versucht allen Ernstes, Hassan zu bestechen!«
»Da ist er vermutlich nicht der erste. Aber Hassan hat Charakter.«
»Wasim für gewöhnlich auch. Würde mich trotzdem nicht wundern, wenn er sich ein ansehnliches Bakschisch in die Taschen geschaufelt hätte.«
»Weil er den Leuten einen regen Mitteilungsaustausch versprach, was du ihm schlichtweg verboten hattest? Also deshalb hat er Angst, seine Arbeit wieder aufzunehmen. Und ich dachte schon, es läge an dem Zwischenfall mit dem Hauseinsturz.«
»Die Habgier siegt häufig über die Feigheit«, sinnierte ich. »Grundgütiger, sieh dir diese Menschenmassen an. Ich wünschte, ich wüßte –«
»Was sich so ergeben hat? Ich auch«, räumte Nefret ein. »Aber es ist zwecklos, das Haus zu verlassen. Wir wären auf der Stelle von Neugierigen eingekesselt.«
»Ich habe schon daran gedacht, mir einen Umhang und einen Schleier von Fatima auszuleihen und mich wenigstens bis zum Wächterhaus zu schleichen.«
»Das kann ich zwar verstehen, aber bitte, tu’s nicht, Mutter. Ich hab so ein Gefühl, daß wir über kurz oder lang von Miss Petherick oder von Cyrus hören werden.«
Sie sollte sich irren. Mit gelindem Erstaunen verfolgte ich, wie Hassan zurücktrat und die Flinte hinter dem Rücken zu verbergen suchte. Dann erkannte ich den Mann, der die Straße hinaufkam – größer als die meisten Ägypter, seine weiße Uniform tadellos, ein gestutzter Bart umrahmte die untere Hälfte des braungebrannten Gesichts. Wenn man klug ist, diskutiert man nicht mit ägyptischen Polizeichefs, schon gar nicht mit Ibrahim Ayyid. Er war noch recht jung, hatte sich aber bereits den Ruf erworben, daß er Disziplin und Fairneß vertrat.
Angenehm überrascht lief Nefret zur Tür und reichte ihm die Hand. Höflich senkte er den Kopf zu einem angedeuteten Handkuß, mich begrüßte er militärisch tadellos, mit einem zackigen Kopfnicken und zusammengeschlagenen Hacken.
»Ich muß mich für mein unangekündigtes Auftauchen entschuldigen«, begann er.
»Aber ganz im Gegenteil«, erwiderte Nefret. »Sie haben uns quasi das Leben gerettet, Mr. Ayyid. Wir wären fast gestorben vor Langeweile.«
Ich bat Fatima, frischen Kaffee zu bringen, unterdes musterte Ayyid uns forschend. »Soweit ich weiß, waren Sie von Anfang an in die Sache involviert. Und Sie waren gestern abend im Hotel. Anlaß meines Besuches ist nämlich, daß ich Sie um nähere Informationen ersuchen muß.«
»Aber erst, wenn Sie uns die aktuellen Neuigkeiten mitgeteilt haben.« Ich lächelte, um damit anzudeuten, daß dies einer meiner kleinen Scherze war. »Ist Mrs. Petherick wieder im Hotel?«
»Nein. Ihre Kinder behaupten, sie sei entführt worden, und die Polizei sowie die britischen Behörden sind inzwischen eingeschaltet.«
Er holte Notizblock und Bleistift heraus.
»Dann ist Ihr Besuch bei uns offizieller Natur?« erkundigte ich mich.
»Ja, Madam.«
»Sie können sich voll und ganz auf unsere Kooperation verlassen«, erklärte ich. »Der Professor ist in Kairo, aber mein Sohn ist hier. Nefret, bitte Ramses doch rasch zu uns.«
Mir entging nicht, daß Mr. Ayyids tiefdunkle Augen Nefrets schlanker Silhouette folgten, als sie den Raum verließ. Ich wußte, daß er sie schätzte, nachdem sie ihm häufiger bei Obduktionen assistiert hatte. Ob diese Empfindungen auch privater Natur waren, konnte ich nur mutmaßen. Als vollendeter Gentleman und tief religiös, wäre er ihr niemals zu nahe getreten.
Ayyid rutschte nervös auf dem Stuhl herum, und ich ertappte mich dabei, daß ich ihn, in Gedanken versunken, unhöflich angestarrt hatte. »Ich kann Ihnen den Hintergrund
Weitere Kostenlose Bücher