Amelia Peabody 17: Die Schlangenkrone
an die Wand der Grabkammer. Aber ich möchte Sie nicht mit Details langweilen.«
Gott sei Dank, dachte Ramses bei sich. Katschenowsky tat jedenfalls so, als interessierte er sich dafür, und als Emerson innehielt, um seine Pfeife erneut anzuzünden, bemerkte der Russe ganz nebenbei: »Ich hab etwas darüber gelesen, Professor. Soweit ich mich entsinne, ist das Grab leer. Darf ich fragen, wieso Sie es reexkavieren?«
Emerson erklärte es ihm ziemlich ausführlich. »Falls Pethericks Statue 1907 in dem fraglichen Grab war, gibt es dort möglicherweise noch Anhaltspunkte. Wir müssen unbedingt eruieren, wo und wann sie gefunden wurde.«
»Warum das, Sir?« wollte Katschenowsky wissen.
»Ja also«, hob Emerson an, verblüfft über soviel Dummheit, aber gern bereit, für geistige Erhellung zu sorgen. »Wenn sie nicht aus KV 55 stammt, müssen wir uns anderweitig umsehen. Die Diebe, die die Statuette mitgehen ließen, haben vielleicht noch andere wertvolle Objekte aufgespürt.«
Seine Frau spitzte kopfschüttelnd die Lippen. »Emerson, diesmal geht deine Fantasie aber wirklich mit dir durch. Wir reexkavieren das Grab, Mr. Katschenowsky, weil selbiges beim ersten Mal nicht fachmännisch gemacht wurde. Das ist der Hauptgrund. Ach übrigens, Ramses, hast du Neuigkeiten von den Pethericks?« wechselte sie geschickt das Thema.
»Nein, Mutter. Allerdings weißt du auch noch nicht, daß Daoud überall am Westufer herumerzählt hat, daß Vater eine Geisterbeschwörung plant. Barton und die Met-Mannschaft möchten daran teilnehmen.«
»Ach du meine Güte«, seufzte seine Mutter. »Emerson, du mußt alles abstreiten und Daoud gehörig den Kopf waschen.«
»Was denn, kein Exorzismus?« murmelte Nefret. »Und ich hatte mich schon so darauf gefreut.«
»Hmmm«, meinte Emerson gedehnt.
Am nächsten Morgen beim Frühstück verkündete der Professor, daß sie für ein paar Stunden ins Westtal reiten würden, um Cyrus zu »helfen«. Er ging davon aus, daß Ramses ihn begleitete. Seine Gattin wollte protestieren, doch Ramses sagte rasch: »Das geht schon in Ordnung. Ich habe mit Michail vereinbart, daß wir in den Nachmittagsstunden an den Papyri arbeiten, damit ich Vater morgens zur Hand gehen kann.«
»Oh«, sagte Emerson. »Na prima. Danke, mein Junge.« Als sie im Ausgrabungsgebiet eintrafen, trugen Cyrus’ Leute bereits körbeweise das Geröll aus dem Grabinnern.
»Waren Sie schon drin?« Neugierig spähte Emerson in Richtung Eingang.
»Gestern, aber nur ganz kurz«, erwiderte Cyrus. »Es sieht besser aus als vermutet; keine eingestürzten Wände oder Decken, weiter unten ist auch weniger Schutt. Die Wandmalereien in der Grabkammer sind allerdings in einem bedauerlichen Zustand. Sie müßten kopiert und fotografiert werden. Wann können Sie David entbehren?«
»Wenn ich mit ihm fertig bin«, meinte Emerson unheilvoll. Er hielt einen der Arbeiter an und inspizierte den Inhalt seines Korbs. »Ausgewaschenes Geröll. Vom Regen unterspült. Das müssen Sie besonders sorgfältig durchsieben.«
»Selbstverständlich«, beteuerte Cyrus. »Wollen wir mal reinschauen?«
Ramses war noch nie in dem fraglichen Grab gewesen, obwohl es seit Beginn des neunzehnten Jahrhunderts geöffnet war. Er half seiner Mutter über die uneben in den Felsen gehauenen, abbröckelnden Stufen. Ein gewundener Gang mündete in einer zweiten, längeren Treppe, dahinter schloß sich ein weiterer, ebenfalls gewundener Korridor an. Staub wirbelte unter ihren Schritten auf und schwächte die Lichtkegel der mitgebrachten Taschenlampen. Die Luft war heiß und stickig.
Ein kahler, schmuckloser Vorraum führte direkt in die vermeintliche Grabkammer. Hier waren die Wände mit gemalten, beinahe lebensecht anmutenden Figuren dekoriert: mit Reihen heiliger Affen, die dem Westtal seinen arabischen Namen »Tal der Affen« gegeben hatten; Opfer- und Gebetsszenen; einer langen Hieroglypheninschrift aus dem Buch der Toten und einem übel zugerichteten Fresko, das den Grabeigner bei der Jagd darstellen sollte.
»Für ein Königsgrab ist dieses Thema ungewöhnlich.«
Ramses deutete auf die Jagdszene.
Die beiläufige Bemerkung hatte prompt zur Folge, daß Emerson ihnen einen Vortrag über die Ausgestaltung und Dekoration von Pharaonengräbern hielt. Das Problem mit seinem Vater, seufzte Ramses im stillen, war, daß er sich hervorragend in diesem Metier auskannte und nie ein Ende fand. Wären sie doch wenigstens draußen gewesen statt in diesem staubig-dunklen Mief!
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