Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
gesagt als getan. Nachdem sie ihren Vater so stürmisch umarmt hatte, als wäre er einen ganzen Monat lang weggewesen und nicht nur zwei Tage, versuchte Carla hartnäckig, sich aus dem väterlichen Klammergriff zu befreien. Kurz entschlossen nahm ich ihm das Kind ab, damit er seine Frau begrüßen konnte. Ich lächelte stillvergnügt, da die beiden in inniger Umarmung verharrten und er ihr etwas ins Ohr flüsterte, worauf sie kaum merklich errötete.
»Na, was haltet ihr davon?«, wollte Emerson wissen, während er Sennia auf seine breiten Schultern hob. »Dieser Ganove Carter –«
»Du klingst ja, als hätte er das nur getan, um dich zu ärgern«, krittelte ich.
»Was denkst du denn? Schamlose Nachäfferei, genau das ist es. Ein Automobil ist hier in der Gegend so überflüssig wie nur was.«
Sich schlagartig gewärtig, dass er damit ein Eigentor geschossen hatte, redete er hastig weiter, bevor ich ihn darauf festnageln konnte. »Wisst ihr was? Lasst uns schleunigst aus diesem Mief hier verschwinden, ja? Peabody, wieso stehst du eigentlich noch hier und tratschst, obwohl unsere Gäste gern nach Hause möchten?«
Jemand – vermutlich Selim – hatte den Geistesblitz gehabt, mehrere Kutschen für uns und das Gepäck zu bestellen. Wir verteilten uns auf die Fuhrwerke, und ich fand mich neben Emerson und Daoud wieder.
An Letztgenannten gewandt sagte ich: »Ich möchte wetten, du warst derjenige, der das mit dem Automobil herausgefunden hat.«
Daoud strahlte vor Stolz. »Es kam mit dem Zug, zusammen mit einem Eisentor für das Grab.«
Der Kutscher lauschte eifrig. Daouds Ansehen als allwissendes Orakel war in den letzten Wochen noch gestiegen. Manch einer unter den abergläubischen Arbeitern schien überzeugt, er hätte übernatürliche Informationskanäle. Wir wussten jedoch, dass er die meisten Neuigkeiten von seinem Sohn Sabir erfuhr, der erfolgreich seine Fährdienste über den Nil betrieb.
»Dann ist Mr Carter wieder da?«, fragte ich.
»Oh ja. Er fuhr vom Bahnhof direkt zu der Dahabije von Professor Breasted.«
»Mmh, also deshalb haben sie meine Einladung zum Tee ausgeschlagen«, sinnierte ich laut. »Howard muss Breasted von dem Grab geschrieben, ihm eine Mitarbeit angeboten und ihn gleichzeitig vor uns gewarnt haben.«
»Ich verbiete es dir, deine Einladung zu wiederholen«, sagte Emerson mit Nachdruck.
»Ich bin es nicht gewohnt, mich in den Vordergrund zu schieben, Emerson.«
»Das ist mir schon aufgefallen, Peabody.«
»Wann will Carter das Grab wieder öffnen?«, wollte ich wissen.
Selbstverständlich war Daoud bestens informiert. »Morgen, heißt es. Effendi Callender hat bereits mit der Schuttbeseitigung begonnen.«
»Na dann viel Spaß«, ätzte der Professor.
Sabirs Fährboot erwartete uns am Ufer; er hatte es mit frischen Blumen und anderem Festschmuck dekoriert, viele Familienangehörige begleiteten ihn. Ein weiteres Begrüßungskomitee, wenn man so will; die Familie hielt nämlich große Stücke auf David, der wiederum mit den meisten von ihnen verwandt war und sie länger nicht gesehen hatte. Das freudige Wiedersehen dauerte bis zum Haus an.
Nachdem zum guten Schluss das Personal sowie Amira die Ankömmlinge willkommen geheißen hatten, riss Emerson der Geduldsfaden. »Genug jetzt!«, knurrte er. »Fatima, kümmere dich lieber um das Mittagessen und lass die arme Sennia in Frieden. Grundgütiger, wir haben zwei Stunden gebraucht, um von Luxor hierher zu kommen. Es ist nicht zu fassen. Ich hab noch kein Wort mit David geredet. Mein Junge, du wirst es nicht glauben, was Howard Carter –«
»Später«, unterbrach ich ihn. »Sie möchten sich bestimmt frischmachen und ausruhen.«
»Ich möchte nicht ausruhen«, entgegnete Sennia. »Ich möchte mein Zimmer sehen und die Große Katze des Re.«
Gargerys melodramatische Geschichte schien sie überhaupt nicht zu berühren. Natürlich wusste ich von meinem Studium der jugendlichen Psyche (und Jahren schmerzlicher Erfahrung), dass junge Menschen alles verdrängen, was sie nicht unmittelbar betrifft.
»Nimm Gargery gleich mit«, wies ich sie an.
»Aber Madam! Ich hab dem Professor doch noch gar nicht erzählt –«
»Später! Trollen Sie sich, Gargery. David John, magst du den Gentleman ein bisschen stützen? Carla, schau doch mal, ob du den Kater findest. Höchstwahrscheinlich hat er sich irgendwo unter den Möbeln verkrochen.«
David John streckte feierlich ein Ärmchen aus, und Gargery hatte immerhin so viel Feingefühl, es
Weitere Kostenlose Bücher