Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
Kind, aber ich kann nicht billigen, dass du das Buch zu Ende liest. Ich hätte es nicht hier herumliegen lassen dürfen.«
»Aber die Dame ist in arger Bedrängnis«, protestierte David John. »Ich hätte schon gern gewusst, wie das Buch ausgeht.«
»Es hat ein Happyend.« Ich nahm ihm das Buch weg.
»Rettet sie denn jemand vor dem grausamen Scheich?«
»Öhm – ja.« Das war heikel, und eine Antwort wollte wohlüberlegt sein. Ihm zu erklären, dass der Scheich nicht wirklich grausam war, nur weil er sie im Klammergriff hatte? Und dass die bedrängte Dame sich gern bedrängen ließ?
Nein, das kam überhaupt nicht in Frage.
»Wieso schreibst du nicht ein Romanende?«, schlug ich vor.
»Hmmm.« David John überlegte, seine blauen Augen nachdenklich entrückt. »An Romanen habe ich mich noch nicht versucht. Das wäre eine ganz neue Herausforderung.«
»Soso, eine Herausforderung. Weißt du was, fang doch schon mal damit an, in der Zwischenzeit besorge ich dir etwas anderes zu lesen.«
Er setzte sich mit frisch gespitzten Bleistiften und einem Stapel Papier an den Esszimmertisch. Währenddessen lief ich in mein Arbeitszimmer, um das Buch vor unerlaubten Zugriffen zu schützen. Bevor ich es ins Regal stellte, blätterte ich noch einmal durch die ersten Seiten.
Der Inhalt war letztlich harmloser als in meiner Erinnerung. Die meiste Zeit lag man sich in den Armen, mit brennenden Augen und schmachtenden Blicken, aber gottlob gab es keinerlei anatomische Bezüge. David John hätte damit nicht viel anfangen können. Ich musste einräumen, dass dieser unsägliche Schund eine nicht zu unterschätzende Faszination auf das breite Lesepublikum ausübte. Demzufolge war es kein Wunder, dass der Roman zum Buch des Jahres gekürt worden war.
Ein Buch, das gewiss in etlichen Regalen stand.
Nein, dachte ich. Einfach lächerlich. Oder?
Probieren geht über Studieren, schoss es mir durch den Kopf.
Ich hatte mir eine eigene Kopie der geheimnisvollen Botschaft angefertigt. Ich nahm sie aus der Schreibtischschublade und machte mich an die Arbeit.
»Da bist du«, sagte Emerson. »Ich hab dich überall gesucht –«
Ich fuhr kreischend zusammen. »Schleich dich nicht immer so von hinten an!«
»Hab ich gar nicht«, widersprach er. »Ich hab dich gesucht.«
»Sieh dir das mal an.« Ich schob ihm das Blatt mit meiner Übersetzung hin.
Emersons edle Denkerstirn zog sich in nachdenkliche Falten, während er die Seite überflog. Er sah mal wieder zum Fürchten aus, die Haare wirr vom Kopf abstehend, das Hemd hing ihm aus der Hose. Eine Stunde mit Carla hatte diese Wirkung.
»Was ist das für ein Quatsch?«, wollte er wissen. »Das ist kein Quatsch, sondern die rätselhafte Nachricht. Und ich hab den Code geknackt!«
»›Am ersten Tag des ersten Monats wird der Bulle sterben. Der Richter wird sterben. Der Adler wird …‹ Sterben?«
»Ich war noch nicht ganz fertig.« Ich wandte mich wieder den Seiten von Leidenschaft am Wüstenstrand zu.
»Ja genau«, bekräftigte ich. »Sterben.«
Emerson überprüfte noch einmal die ersten Wörter, dann war auch er überzeugt, dass ich die einzig mögliche Übersetzung gefunden hatte.
»Kapierst du, was das bedeutet?«, wollte ich wissen, als Emerson stirnrunzelnd den frivolen Schutzumschlag von Leidenschaft am Wüstenstrand in Augenschein nahm. »Wir lagen falsch, total falsch, was die Revolte angeht. Sie planen ein Attentat. Den kaltblütigen Mord an drei Leuten!«
»Der Bulle«, murmelte Emerson. »Großer Gott, das ist Lord Allenby! Er ist bei Anhängern wie Opponenten als der Bulle bekannt. Richter gibt es allerdings wie Sand am Meer.«
»Der Richter muss König Fuad sein. Sein Name ist von jenem arabischen Begriff abgeleitet.«
»Ja, ja.« Emerson kratzte sich sein Kinngrübchen. »Hätte mir gleich einleuchten müssen. Aber es fällt mir immer noch schwer, es zu glauben, Peabody. Warte mal. Der Adler ist ein Symbol der Haschemiten. Feisal von Irak?«
»Ich denke schon.«
»Offenbar«, meinte Emerson, »hatten sie sich bereits im Vorfeld auf diese absurden Pseudonyme geeinigt und den Termin des Anschlags erst in der letzten Mitteilung bekanntgegeben. Komm, ich hab ein Wörtchen mit meinem Bruder zu reden.«
Sethos saß auf der Terrasse, ließ sich von Fatima bedienen, während ihm die Große Katze des Re um die Beine strich. Der Kater hatte eine unerklärliche Anhänglichkeit für ihn entwickelt. Hätte mir gleich klar sein müssen, dass das ein schlechtes Omen
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