Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
Ramses grinsen. Der Mann war ein ausgemachter Idiot, wenn er glaubte, dass sich der Vater der Flüche so leicht einschüchtern ließe. Er war kein Idiot, genauso wenig wie die fünf anderen. Sie rührten sich nicht von der Stelle, und die Stimme ihres Anführers verhärtete sich.
»Mit mir spielt man nicht. Wo ist er?«
»Wer?«, erkundigte sich Emerson.
»Du weißt es genau! Sag es oder mein Messer wird dein Herzblut trinken.«
»So ein Quatsch«, erklärte Emerson. »Wozu soll das gut sein?«
Das Lachen des Anführers klang schauerlich hohl. »Er würde kommen, um dich zu rächen, und dann wäre er meiner Gnade ausgeliefert.«
Emerson entwich ein amüsiertes Wiehern. Breitbeinig, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, war er die Lässigkeit in Person. »Du klingst wie meine Frau. Na gut, vielleicht lass ich mich auf euren Informationsaustausch ein. Wer hat euch bezahlt, damit ihr uns herlockt?«
Einer der Männer zupfte den Anführer am Ärmel. Ramses, der über ein ausgezeichnetes Gehör verfügte, schnappte ein paar Brocken ihrer hastig geflüsterten Unterhaltung auf. »Der lässt sich nicht … verschaukeln.«
Die anderen Ganoven teilten seine Bedenken. Sie wichen zurück. Inzwischen waren sie auf halbem Wege zur Tür.
»Ein letztes Mal noch«, drohte der Anführer. »Wirst du reden?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Emerson, der allmählich den Spaß an der Sache verlor. Er zog die Hände aus den Taschen. Sie waren leer, aber trotzdem tödlich zupakkend, wie alle Ägypter wussten. Ramses zog sein Messer, bereit, zwischen seinen Vater und den Anführer zu hechten; bevor er sich rühren konnte, stieß der Mann die Lampe zu Boden. Die Tonschale zerschellte in tausend Stücke, Öl verteilte sich überall auf dem Boden. Flammen zuckten auf, leckten an der vergossenen Flüssigkeit, entfachten Papier und den ringsum verstreuten Unrat. Ihre Häscher stürmten laut schreiend ins Freie. Der Anführer folgte ihnen als Letzter.
»Dann verbrennt zu Asche!«, brüllte er, melodramatisch bis zum Schluss. »Wenn ihr eure Meinung ändert, dann ruft und wir werden euch befreien.«
Die Tür fiel krachend ins Schloss.
2. Kapitel
Aus Manuskript H (Fortsetzung)
Ramses wich vor den züngelnden Flammen zurück, die an seinen Füßen leckten. Das Feuer breitete sich rasend schnell aus und versperrte ihnen den Weg zur Tür. Er zweifelte keine Sekunde lang, dass sie verschlossen wäre, und ihre Angreifer waren vermutlich längst über alle Berge.
»Sollen wir uns nach einer Fluchtmöglichkeit umsehen?«, fragte er.
»Hmpf«, knurrte Emerson, sein Gesicht eine teuflisch groteske Maske im rötlich flackernden Feuerschein. »Wir können den Laden doch nicht schnöde abbrennen lassen. Deine Mutter würde ein solches Verhalten bestimmt nicht gutheißen.«
Noch während er sprach, packte er sich einen der halb gefüllten Säcke und schüttete den Inhalt auf die Flammen. Ramses wollte protestieren, begriff dann aber, dass Emerson geistesgegenwärtig genau das Richtige tat: Er begann, das Feuer mit Salz zu ersticken.
Eine beißende Rauchwolke erhob sich. Die erlöschenden Flammen sprühten glitzernde Funken unter der weißen Substanz. Hustend und schimpfend trat Emerson das Feuer aus, worauf der Raum erneut im Dunkel lag. Ramses schaltete die Taschenlampe wieder ein.
»Komm, wir müssen sichergehen, dass dem Ladenbesitzer und seiner Familie nichts passiert ist«, sagte er und leuchtete in den hinteren Teil des Geschäfts.
Ein mit Vorhang versehener Durchgang hinter der Ladentheke führte in einen Lagerraum und zu einer schmalen Treppe. Die Räume im ersten Stock waren leer, bis auf einen, dessen Tür mit einem Holzkeil verbarrikadiert war. Emerson riss ihn mit einem Ruck heraus und öffnete die Tür. Unvermittelt begrüßte ihn das panische Geschrei einer Gruppe von Menschen, die ängstlich in eine Ecke gekauert hockten.
»Ich bin es, der Vater der Flüche«, überbrüllte der Professor die Kakophonie. Er nahm Ramses’ Hand und richtete die Taschenlampe auf sein Gesicht. »Habt keine Angst. Die bösen Männer sind wieder weg.«
Es brauchte eine Weile, bis die völlig verschreckte Familie sich wieder beruhigt hatte – Mann und Frau, eine betagte Großmutter und sechs Kinder. Emerson fasste die alte Dame bei den Schultern und schüttelte sie, bis sie zu kreischen aufhörte.
»Sanfter, Vater«, rief Ramses entsetzt.
»Ah«, seufzte die Großmama sichtlich angetan. »Es sind in der Tat die starken Hände des Vaters
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