Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
zwei sogenannte »Pimperln« den Tagesdienst in der Auslage an. Amelie liebte diese Art von unbeholfenen, weil an einem Draht statt an mehreren Schnüren geführten Marionetten. Zwölf Stück davon hatte sie vor Jahresfrist in Prag für teures Geld erworben. Ihrer seit dem vergangenen Abend beharrlich anhaltenden romantischen Stimmung entsprechend, wählte sie einen Ritter und eine Prinzessin aus und mühte sich lange, die beiden so zu befestigen, dass sie, einander zugewendet, frei im Raum zu schweben schienen.
Drei Laufkundschaften. Und die alte Dame von unlängst, die anfragte, ob Amelie schon einen Käufer für ihre Puppe gefunden hätte. Und Lizzi Lenz per Telefon aus Salzburg mit der Mitteilung, dass Amelies gleichaltrige Kusine Inge wieder in der Hoffnung sei, bereits zum dritten Mal, während Amelie… Naja, es sei halt leider so, dass sie, Lizzi, wohl nie mehr Großmutter werden würde, was besonders grotesk sei im Hinblick darauf, dass ein Amelie-Kind schon vor seiner Empfängnis über das tollste Spielzeug der Welt verfüge… »Naja, kann man nix machen, servus Herzerl, servus.«
Amelie war sicher, dass Lizzi weder ihr »Hallo, Mutter« eingangs noch ihr »Bussi, Mutter« ausgangs vernommen hatte. Sie saß da und sann darüber nach, wie es wäre, wenn sie ein Kind bekäme. Nicht von Hermann. Ein Söhnke-Baby hatte sie sich im Grunde nie recht vorstellen können. Nein, vom Galoschenmann. Ein rosiges, feistes, entzückendes Baby, das ihr entgegenlachte und mit gepolsterten Händchen nach ihrem Zeigefinger griff… »Amelie Lenz, du bist nicht ganz dicht«, kicherte sie und nahm den Hörer vom Telefon, welches schon die längste Zeit geläutet hatte.
»Amelie Lenz, Altes Spielzeug, Grüß Gott.«
»Hallo Schatzi.«
»Wie bitte?«
»Hier Hermann.«
»Wer? – Mein Gott, Hermann, du bist’s. Verzeih, ich war so in Gedanken versunken, dass…«
Sie versicherte dem besorgten Hermann, dass mit ihr alles in Ordnung sei, nein, nicht übermüdet, nicht krank, nur eben sehr beschäftigt. Sie nahm zur Kenntnis, dass er zum kommenden Wochenende wieder in Wien sein werde. »Und wie geht es dir? Und deinen Eltern?«, fragte sie pflichtschuldig und hatte seine Antwort Minuten später vergessen.
Uli kam erst nach neunzehn Uhr. Er schlüpfte unter dem zur Hälfte heruntergelassenen Rollbalken durch und deutete auf den Auslagen-August, Griffel in der Pfote, vor sich ein gelbes DIN-A4-Kuvert, darauf in Amelies schwungvoller Handschrift in schwarz schraffiertem Grün: An einen Unbekannten. »Romantisch«, spöttelte er und erklärte im selben Atemzug, er sterbe vor Hunger. Wenn Amelie nicht stehenden Fußes mit ihm zum Wirt gegenüber gehe, könne er sich nicht anhören, worum sie ihn bitten wolle.
Das Gasthaus war nahezu leer. Amelie begann erst zu erzählen, nachdem Uli seine Suppe ausgelöffelt hatte. Sie erzählte gut, gespannt vollzog Ulis bewegliches Gesicht das morgendliche Unwetter und das Geschehen am Ballhausplatz nach. Auch ihre im Kaffeehaus angestellten Überlegungen legte Amelie ihm dar. Die entlockten ihm freilich nur ein nachsichtiges Lächeln.
»Also gut. Der wohlriechende Übermensch mit der erotischen Stimme ist hinkend im Bundeskanzleramt verschwunden. Was könnte ich in diesem Zusammenhang für dich tun?«
»Du sollst zum Portier gehen und fragen, welcher der Herren im Amt hinkt.«
»Ich soll – was? Warum? Wozu?«
»Weil ich ihn gerne sehen will, diesen Mann. Ich will wissen, wie sein Gesicht aussieht. Und wie er aussieht, wenn er lacht.«
Uli schüttelte den Kopf. »Ami, Liebling, du hast einen Schuss! Selbst wenn wir herausfinden sollten, wer der Typ ist – was willst du denn dann tun? Hingehen und sagen: Mein Herr, wir sind kürzlich zusammengestoßen, schenken Sie mir ein Lachen, drücken Sie mich an Ihre Brust, ich will wissen, ob sie wirklich federt und ob ihre Galoschen nicht vielleicht Gamaschen sind?«
Amelie lächelte schief. »Ich weiß nicht, was ich dann tun werde. Aber tun werde ich etwas. Weil…der Tag, an dem ich in den Menschen hineingelaufen bin, hat alles irgendwie verändert… Ich kann’s dir nicht erklären Uli – etwas in mir ist seither anders. Mein Bewusstsein hat sich – irgendwie erweitert.«
Uli fuhr mit beiden Händen über sein kurz geschnittenes Haar, zurück und vor und wieder zurück. »Schräg, das Ganze, sehr schräg…Und warum bringst du dein erweitertes Bewusstsein in diese absurde Geschichte nicht ein und gehst selber hin und fragst den
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