Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
wie das Pendel einer Uhr, ein einziger Gedanke in ihr: ›Ich habe ihn gefunden. Ich habe ihn gefunden…‹
Als sie zwei Stunden später Madame Böheimstetten gegenüberstand, war sie sich dessen nicht mehr so sicher. Die Besitzerin des Second-Hand-Shop war zwar durchaus bereit, Amelie die Gamaschen zu überlassen, freilich nicht eher, als sie die Genehmigung des Besitzers eingeholt hatte.
»Sie müssen mich verstehen, meine Liebe. Der Auftraggeber hat offenbar übersehen, dass es in dem Koffer eine Lade und in der Lade ein Paar Gamaschen gibt. Wenn er einem Verkauf zustimmt, können Sie sie selbstverständlich haben.« Die Böheimstetten hatte eine tiefe, raue Stimme. Kettenraucherin. Gegerbtes Gesicht, unzählige Falten, kluge, warmherzige Augen, füllige Figur. Das exakte Gegenstück zu der Ätherischen, die neben der Gräfin zu einem Nichts verblasste.
»Sie kennen den Besitzer?« Die Dringlichkeit von Amelies Frage war unüberhörbar. Die Böheimstetten musterte sie nicht ohne Neugier, lächelte ein wenig und nickte. »Würden Sie so nett sein und ihn anrufen? Jetzt gleich?« Die Gräfin zeigte mittels runder Augen und gerunzelter Stirn Erstaunen. »Es ist nämlich sehr, sehr wichtig für mich, ich suche… ich suche die Gamaschen… ich meine, ich suche solche Gamaschen schon sehr lange…« Schlecht, Amelie, ganz schlecht. Wenn du so weiter machst, verrätst du der Person gleich die ganze Geschichte.
Die Böheimstetten legte ihr Gesicht in begütigend lächelnde Falten und raspelte Beruhigung: »Ich verspreche Ihnen, dass ich die Gamaschen, falls sie verkäuflich sind, für Sie zurückhalte. Ich bin nicht sicher, wann ich den Eigentümer erreiche. Kommen Sie doch in einer Woche wieder…«
Wenn man Amelie Lenz ein halbes Jahr zuvor gesagt hätte, dass ihre Gedanken eine ganze Woche lang von einem Paar Gamaschen beherrscht werden würden, und zwar derart, dass sie sich später an nichts als diese Gamaschen würde erinnern können, hätte sie bloß müde gelächelt. Als sie sich nach Ablauf dieser Woche wieder ins Bermuda-Dreieck aufmachte, um die Böheimstetten aufzusuchen, fühlte sie sich, als ginge sie dem Ende einer Amnesie entgegen.
»Guten Morgen, meine Liebe.« Die Gräfin saß an ihrem Schreibtisch, hatte eine filterlose Zigarette in den Mundwinkel geklemmt und wühlte in einem Wust von Papieren. »Ich muss Ihnen…« Von einem emphysematischen Hustenanfall unterbrochen, konnte sie längere Zeit hindurch nicht sagen, was sie musste. Amelie zappelte vor Ungeduld. »Raucherhusten«, sagte die Gräfin und grinste, als sie sich etwas gefangen hatte.
»Sie wollten mir etwas sagen?«, half Amelie ihr auf die Sprünge.
»Ja, in der Tat. Ich habe den Besitzer der Gamaschen erreicht.« Die Böheimstetten sog den Rauch ihrer Zigarette ein, als müsse sie nachholen, was sie durch den Hustenanfall versäumt hatte. Amelie knirschte mit den Zähnen. ›Wenn sie wieder anfängt zu husten, erwürge ich sie.‹
Die kriminelle Handlung erübrigte sich. Flott kam die Gräfin auf das Wesentliche zu sprechen. Der Besitzer sei mit dem Verkauf einverstanden. Die kuriosen Gamaschen seien, obwohl mit ziemlicher Sicherheit ein Unikat, mit sechshundert Schilling niedrig angesetzt. Wenn Amelie also wolle…
Amelie holte ihr Scheckbuch hervor. ›Wie kann ich ihr verklickern, dass ich nicht nur die Gamaschen, sondern auch den dazugehörigen Mann möchte‹, dachte sie, während sie schrieb.
Die Böheimstetten hatte die Gamaschen in eine gebrauchte Plastiktasche gesteckt und reichte sie Amelie.
»Ich möchte gerne mit dem Besitzer sprechen. Können Sie mir sagen, wie ich ihn erreiche?«, fragte Amelie, zu ihrem eigenen Erstaunen sachlich und bestimmt.
Die Antwort der Gräfin war ebenso sachlich und ebenso bestimmt: »Ausgeschlossen! Egal, ob sie kaufen oder verkaufen, meine Kunden bleiben unter allen Umständen anonym.«
»Es wäre aber sehr, sehr wichtig für mich.« Die Bestimmtheit war dahin, es klang eher wie ein Flehen.
»Warum«, fragte die Böheimstetten ruhig und forschte in Amelies Gesicht.
›Ich schreibe eine Dissertation über Gamaschen… Ich habe die Absicht, Gamaschen zu produzieren…‹ Amelie überlegte fieberhaft, wie sie ihr Ansinnen begründen konnte. Sie wusste nicht, dass sie aussah wie ein ratloses Kind. »Es ist eine sehr persönliche Sache«, sagte sie schließlich leise.
Die Gräfin hatte sie scharf beobachtet. Sie hustete ein wenig, ehe sie ihre Zigarette entschlossen beiseitelegte und
Weitere Kostenlose Bücher