Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
Wien zu verlassen, zu ihm zu ziehen, mit ihm zu leben?
Dinge wie diese hörte sie nun fast täglich. Kein Zweifel: Gregor Freytag gab sich redlich Mühe, Amelies Vertrauen in ihn wiederherzustellen und ihre Sehnsucht nach ihm zu füttern. »Liebst du mich?«, hatte er sie einmal so unvermutet gefragt, dass sie fast erschrak. »Ich denke doch«, murmelte sie. »Wie sehr?«, hatte er nachgehakt und sie so lange gedrängt, bis sie »sehr« geflüstert hatte.
Auf diese Weise war es Mitte Juli geworden und heiß in der Stadt. Im August würde Amelie den Laden schließen, das hatte sie auch in den vorangegangenen Jahren so gehalten, im Hochsommer war Wien ohnehin wie ausgestorben. Noch hatte sie keine Ahnung, wo sie Ferien machen würde. Sie hatte Sehnsucht nach dem Meer. Im vorigen Sommer war sie mit Hermann auf der Insel Patmos gewesen… mein Gott Hermann…Sie hatte Mühe, sich sein Gesicht zu vergegenwärtigen.
Mit dem Meer würde es heuer wohl nichts werden. Das bisherige Geschäftsjahr war elend gewesen, Spa ren das Gebot der Stunde. Salzburg, ein paar Bergtouren, vielleicht ein paar Segeltage mit Lorenz am Attersee…
Gregor hatte sie in ihre Überlegungen nie wirklich einbezogen. Er schien zu beschäftigt. Gemeinsames Reisen war nie ein Thema zwischen ihnen gewesen. Umso überraschter war sie, als er sie eines Morgens anrief und voll Überschwang ins Telefon plärrte: »Liebling, halt dich bereit! In zwei Wochen fahren du und ich auf Urlaub in die Türkei!«
Ihre Einwände fegte er vom Tisch. Keine Zeit? Geschummelt, sie habe keine Pläne für August, das wisse er genau. Die Hitze sei zu groß? Wenn schon, dafür Zauber der Levante. Im Übrigen liege das Hotel, das er ausgesucht habe, unter Palmen auf einem Hügel überm Meer, es gebe also stets eine leichte Brise. Geldmangel? Kein Thema, Amelie sei selbstverständlich sein Gast. Sie müsse lediglich das Ticket vorausbezahlen, es liege bereits auf ihren Namen reserviert im Wiener Verkehrsbüro, den Betrag werde er ihr sofort nach ihrer Ankunft zurückerstatten.
Amelie ging die Munition aus. Überfahren von seinen Argumenten und mitgerissen von seiner Begeisterung seufzte sie schließlich: »Und wo genau fahren wir hin?«
»Nach Bodrum!«, jubelte Gregor am anderen Ende der Leitung.
Sie erstand den teuren Blauen Führer über die Türkei. Sie klapperte halb Wien ab, um einen günstigen Bikini zu ergattern. Gegen jede Vernunft kaufte sie letztendlich ein weit über ihre Verhältnisse gehendes luxuriöses Nichts von einem Zweiteiler. Sie fand ihre Haut zu weiß und ihren Körper zu dünn und drehte und wendete sich vor dem Spiegel im Salettl, um herauszufinden, ob Gregor sie noch immer begehren würde. Sie ärgerte sich, dass sie aus Feigheit vor Diskussionen Uli mittels einer am Flughafen eingeworfenen Postkarte von ihrer Abreise in Kenntnis setzte. Und sie schämte sich, dass sie den Eltern vorgeschwindelt hatte, sie würde, eine Last-Minute-Chance nützend, allein reisen. Erst als sie im Charterflugzeug nach Bodrum saß, kam ihr der Gedanke, dass sie übereilt gehandelt haben könnte. War es vernünftig, mit einem ihr kaum vertrauten Mann in eine ihr nicht bekannte Gegend zu reisen? Einem Mann, mit dem sie zwar gerne schlief, von dem sie sich möglicherweise aber nur einbildete, ihn zu lieben? Egal, jetzt war sie unterwegs, jetzt musste sie da durch. Und vielleicht liebte sie Gregor Freytag ja doch? Die Gefühle, die er letzten Oktober innerhalb von Sekunden in ihr erweckt hatte, damals, als sie ihn noch gar nicht kannte, die waren doch anders als alles, was sie je zuvor für einen Mann empfunden hatte, die hatten sie doch überwältigt…
Gregor war zwei Stunden früher als Amelie angekommen. Er hatte bereits ausgecheckt und erwartete sie in der Ankunftshalle. Er war braun gebrannt und sah aus, als hätte er den Urlaub nicht vor, sondern bereits hinter sich. Amelie hatte sich gefragt, wie er sie nach mehreren Wochen der Trennung begrüßen würde. Doch wie es kam, hätte sie nicht für möglich gehalten. Gregor winkte ihr von weitem zu und wartete, bis sie vor ihm stand. Er umarmte sie, als wären sie ein altes Ehepaar, das sich erst gestern getrennt hatte, deutete auf ihren Koffer und sagte: »Madonna, was schleppst du für eine Woche alles mit, dein eigenes Bettzeug?« Sein Reisegepäck bestand aus einer Segeltuchtasche.
Als sie aus der klimatisierten Halle ins Freie traten, schlug ihnen die Hitze entgegen. »Das ist ja mörderisch«, hauchte Amelie
Weitere Kostenlose Bücher