Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
humanistisches Gymnasium besucht. Ich habe Matura. Ich weiß, dass Bodrum das antike Halikarnassos ist. Ich weiß ferner, dass man Herodot nicht nur als Vater der Geschichtsschreibung, sondern auch als Vater der Lügen bezeichnet. Ich weiß sogar, dass hier das Grabmal des König Mausolos stand, von dem es kaum mehr ein Trum zu sehen gibt. Ich bin also nicht der Banause, für den du mich hältst. Ich habe nur nichts über für Blaustrümpfe. Und ich bin ausschließlich mit dir nach Bodrum gekommen, um mit dir zu bumsen.«
Amelie starrte ihn an. Seine Ausdrucksweise kränk te sie nicht, sie machte sie wütend. »Und ich finde Sex ohne Rahmenhandlung geisttötend«, warf sie ihm an den Kopf.
»Wer braucht schon Geist, wenn er Sex hat«, schnabelte Gregor stante pede zurück, worauf Amelie auf dem Absatz kehrtmachte und auf das Kastell zulief.
Die Hitze brütete über Stadt und Meer. Dennoch kehrte Amelie erst am späteren Nachmittag ins Hotel zurück. Nachdem sie das Kastell besichtigt hatte, war sie lange im Schatten hoher Bäume am Hafen gesessen und hatte nachgedacht. Sie hatte zugesehen, wie die Fischer ihre Netze flickten und die dickbäuchigen türkischen Boote ausliefen. Ob sie wohl in See stechen, ob sie zu den Inseln hinübersegeln würde, wenn sie mit einem anderen Mann als Gregor hier wäre. Gregor, in den sie sich nicht verliebt, in den sie sich – was eigentlich – verrannt hatte?
Er lag am Pool, las in einem Krimi und machte nicht den Eindruck, als hätte er dringlich auf sie gewartet. Ihr »Hallo« erwiderte er obenhin, fragte nicht, wo sie gewesen sei, bemühte sich nicht um sie. Erst beim Abendessen wurde er wieder gesprächig.
»Neue Gäste«, bemerkte er und deutete mit dem Kopf Richtung Glaswand. Am besten Tisch des Speisesaals hatte eine fünfköpfige Gesellschaft Platz genommen. Vier jüngere Männer und eine Frau um die vierzig. »Türken. Sie hat ein gutes Gesicht. Nicht mehr jung, aber attraktiv«, fuhr Gregor fort, während er die Frau ungeniert musterte.
An diesem Abend hatte er es nicht eilig, ihr Zimmer beziehungsweise die Matratze auf der Terrasse zu erreichen. Sie saßen noch lange am Pool, nahmen einen Drink und tauschten Belangloses aus. Gregor schien auf etwas zu warten. Amelie überlegte kurz, ob sie ihn darauf ansprechen wollte und verwarf es wieder. Als sie schließlich nach oben gingen, war Gregor geistesabwesend und schweigsam. Er schlief auch diese Nacht mit ihr, aber ohne den bisherigen Einsatz. Er gab sich nicht die geringste Mühe, Amelie in Ekstase zu versetzen, kam schnell zu einem Ende und drehte sich von ihr weg.
»Du liebst mich anders als früher«, sagte Amelie sachlich.
Gregor drehte sich auf den Rücken und starrte auf den Bougainvillea-Zweig, der über ihren Köpfen nickte. »Was meinst du damit?«, murmelte er.
»Genau was ich sage: Früher war es anders.«
»Besser?«
»Ja.«
»Man ist nicht immer gleich in Stimmung«, sagte er lahm und legte seine Hand auf ihren Bauch. »Morgen bin ich wieder der Alte.« Den Blick immer noch auf den Blütenzweig gerichtet, begann er mit seiner Hand Kreise um ihren Nabel zu ziehen. Amelie griff seine Hand, legte sie von sich fort, drehte sich von ihm weg und wartete. Nichts geschah. Am nächsten Morgen hätte sie nicht zu sagen vermocht, ob und wann Gregor eingeschlafen war.
Während Amelie allein im Kastell gewesen war, hatte Gregor, ohne sie vorher um ihre Meinung zu fragen, drei Tagestouren gebucht. Eine Bootsfahrt zur Insel Kos, eine Bustour durch die Umgebung und eine Fahrt mit dem Gruppentaxi zu einem als besonders schön gepriesenen Badestrand. Drei aufeinanderfolgende Tage, die Amelie der Hitze wegen erschöpften und sie Gregor keinen Zentimeter näher brachten. Sie hatte zunehmend das Gefühl, dass er sie nicht mehr begehrlich, sondern kritisch betrachtete. Die Art, wie er sie ohne Lächeln aus den Augenwinkeln musterte, machte sie befangen. Was will er, was denkt er? Wenn sie ihn das fragte, wich er aus. Wenn er sie nächtens liebte, geschah es fast mechanisch. Dadurch fühlte sie sich gedemütigt und entwickelte Hemmungen.
»Was ist los mit dir, du warst doch früher nicht zickig«, warf ihr Gregor einmal vor.
»Ich bin nicht zickig, ich fühle mich nicht wohl in meiner Haut«, gab Amelie scharf zurück.
Gregor reagierte nicht betroffen, sondern ärgerlich. »Meine Schuld, nehme ich an.«
»Vielleicht unser beider.« Amelie überlegte. »Weißt du, es ist so: Früher hast du mich angesehen, als wäre
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