Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
würde. Sollte sie ihm schreiben? Blödsinn – was auch. Außerdem hatte sie ja nicht einmal seine Mailänder Adresse. Und an die Adresse in der Wohllebengasse zu schreiben war nun, da er die Wohnung wegegeben hatte, sinnlos.
Erst im Zuge dieser Überlegungen realisierte Amelie, wie bedenkenlos sie gehandelt hatte, als sie sich mit Gregor einließ. Sie zweifelte nicht einen Augenblick daran, dass Burgi die Wahrheit gesagt hatte, als sie Gregors familiäre Situation enttarnte. Freilich, blauäugig, wie sie war, hatte Amelie Gregor zunächst geglaubt. Und das, obwohl Vertrauensseligkeit keineswegs zu ihren Eigenschaften zählte…Was war bloß los mit ihr? Seit der Begegnung mit dem Phantom geriet ihr Leben zunehmend aus den Fugen, und ihr altes Selbst schien in Auflösung begriffen…
Wie auch immer, die Sache Freytag gehörte abgeschlossen. Eines Morgens wählte Amelie die Nummer von Gregors Mobiltelefon. Es war auf Mailbox geschaltet. Umso besser. Amelie gönnte ihrem fulminanten Liebhaber einen einzigen Abschiedssatz: »Hallo, Gregor«, sagte sie mit heller, harter Stimme, »hier Amelie. Ich möchte dich nie mehr wiedersehen.«
Eine Woche später war Gregor Freytag da. Es war der zehnte September. Amelie würde das Datum nie vergessen, denn am Tag darauf änderte sich nicht nur ihr persönliches Schicksal, sondern der Lauf der Welt.
Sie war eben dabei, August in die Auslage zu setzen, weil sie den Laden zusperren wollte. Ein langer Schatten fiel auf den Bären und blieb, wo er war. Amelie sah auf und direkt in Gregors entspannt lächelndes Gesicht.
Erst später kam ihr zum Bewusstsein, dass sie, ohne zu überlegen, wie eines ihrer mechanischen Spielzeuge funktioniert hatte. Sie hatte sich aufgerichtet, war zur Tür gegangen, hatte sie geöffnet und Gregor wortlos hereingewinkt. Sie hatte ihm weder die Hand gereicht noch einen Stuhl angeboten. Erst als er, immer noch lächelnd, vor ihr stand, sagte sie ohne merkbare Erregung, laut und kalt: »Du hast gelogen.«
Gregor sah verdutzt drein. »Wann?«, fragte er. Sein Gesicht wirkte wie das eines Knaben, der überlegt, bei welcher seiner zahlreichen Sünden man ihn ertappt haben könnte.
»Wann nicht?«, erwiderte Amelie scharf. Gregor zog die Stirn kraus, als müsse er nachdenken, dann streckte er beide Arme nach ihr aus. Amelie wich einen Schritt zurück. »Du hast mir mehrmals gesagt, dass du mit mir leben willst. Du hast sogar behauptet, dass es dir nichts ausmacht, wenn ich schwanger werde. Dabei bist du seit Jahren verheiratet und hast zwei Kinder!« Eigentlich erwartete sie, dass er Letzteres abstreiten oder sich herausreden würde.
Nichts dergleichen. Gregor zuckte die Achseln und sagte locker: »Na und?« Als Amelie ihn fassungslos anstarrte, fuhr er im Plauderton fort: »Versuch die Sache von meiner Warte aus zu sehen, amore . Als wir uns damals im Landtmann getroffen haben, wusste ich nicht, was mich erwarten würde. Du hättest alt, mies, nicht mein Typ sein können. Aber du bist, wie du bist, und ich war augenblicklich scharf auf dich. Ich wollte dich. Und ich hätte dich unter Garantie nicht gekriegt, wenn ich dir auf die Nase gebunden hätte, dass ich Frau und Kinder habe.«
Amelie ließ sich auf die Schreibtischkante plumpsen und suchte nach Worten. »Du bist ein Zyniker«, murmelte sie schließlich und schüttelte den Kopf, als könnte sie nicht glauben, was sie eben gehört hatte.
»Was war noch gelogen«, fragte sie nach einer Weile und forschte dabei in Gregors Gesicht.
Er zog die Augenbrauen in die Höhe, grinste und schwieg.
Amelie war ganz ruhig, als sie fortfuhr. »Gregor, jetzt ist es doch völlig egal, wir wissen beide, dass unsere Geschichte zu Ende ist, sei zum Abschied ehrlich, sag mir die Wahrheit: Bist du ein Headhunter, oder warst du jemals einer?«
Er lachte, als hätte er sie vorübergehend mit einem Scherz drangekriegt. »Bingo, Liebling! Am Headhunter-Job ist kein wahres Wort. Ich bin Vertreter für Strickwaren in Oberitalien.«
Amelie schluckte. »Was war sonst noch gelogen?«
»Nichts, wovon ich wüsste.«
»Wie war’s mit Bodrum? Wie sind wir da hingekommen?«
»Eine Woche für zwei Personen in einem Viersternehotel – das habe ich in einem Preisausschreiben gewonnen.«
»Das darf nicht wahr sein! – Und wie hast du die Reise deiner Frau verklickert, was für ein Märchen hast du ihr aufgetischt?«
»Gar keines. War nicht nötig. Ich bin oft länger als eine Woche von zu Hause weg. Und Valentina ist sowieso
Weitere Kostenlose Bücher