Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
den ganzen Sommer über mit den Kindern bei ihrer Familie in Faenza.«
Amelie begann auf- und abzugehen. Gregor legte das offenbar als Aufforderung zum Bleiben aus und ließ sich in Amelies Schreibtischstuhl fallen. Nach einer Weile blieb sie vor ihm stehen, sah auf ihn herunter und fragte: »Eines will ich noch wissen, Gregor – wie war das mit den Gamaschen?«
Er runzelte nachdenklich die Stirn. »Gamaschen… welche Gamaschen?«
»Schwarz mit Grün, kleines Wappen, sie waren in deinem Koffer bei der Böheimstetten«, half ihm Amelie ungeduldig auf die Sprünge.
»Ach, die… was soll damit sein?«
»Du hast mir gesagt, du hättest sie getragen, voriges Jahr im Oktober, am Ballhausplatz…War auch das gelogen?«
Ihre Stimme war von eigenartiger Dringlichkeit, Gregor sah Amelie interessiert an, dann sagte er nahezu zärtlich: »Aber nein, amore , das doch nicht. Weshalb hätte ich das erfinden sollen? Es lag ja kein Grund vor, es war doch ohne jede Bedeutung.«
Sie sahen einander eine Weile schweigend an, weil sie einander nichts mehr zu sagen hatten. Schließlich stand Gregor auf, Amelie ging an die Tür und öffnete sie für ihn. Er kam zögernd näher und blieb vor ihr stehen. »Also dann…«, sagte er.
Sie sah ihm in die Augen. »Warum bist du heute hergekommen?«, fragte sie leise.
Er grinste, als wittere er Morgenluft. »Blöde Frage! Weil ich mit dir schlafen wollte.«
Amelie verzog das Gesicht. »Gregor Freytag, du bist nicht nur ein Lügner und ein Zyniker, du bist auch geschmacklos«, sagte sie verächtlich.
Darauf reagierte er endgültig wütend. »Tu dir nichts an«, zischte er, »wir hatten ein paar tolle Monate, niemand ist dabei zu kurz gekommen.« Und er verließ grußlos den Laden.
Amelies Laden. Auf ihn wurde am nächsten Morgen zum Halali geblasen. Um acht Uhr rief Lorenz im Salettl an. Amelie solle ihren Mietvertrag bereitlegen, die Prüfung von Amelies Geschäftsunterlagen habe ergeben, dass der Laden nicht zu halten sei. Kündigung also zum ehestmöglichen Zeitpunkt, er, Lorenz werde am nächsten Tag in Wien sein, um mit ihr alles Nähere zu besprechen.
Amelies Glieder wurden kalt und fühlten sich zunehmend gefühllos an, so als würden sie für eine Operation vereist. Die halbe Nacht hatte sie wach gelegen, ihre Gedanken waren um Gregors kaltschnäuziges »niemand ist dabei zu kurz gekommen« und um die unbekannte Zwillingsmutter Valentina gekreist, schwer hatte sie an ihrem schlechten Gewissen gewürgt. Und nun schwankte ihre Existenz.
Auf dem Weg zum Laden versuchte sie zum ersten Mal seit Monaten, wieder ihre Schritte zu zählen, verzählte sich und hörte auf. Sie holte August aus der Auslage und ließ sich mit ihm hinterm Schreibtisch nieder. Ihr Hirn war leer, ein Gefühl der Panik lähmte sie. Sie klammerte sich an den Bären und schmiegte ihr Gesicht in sein Fell. Wie lange sie so gesessen hatte, wusste sie nicht. Irgendwann raffte sie sich auf und begann die Papiere für Lorenz zusammenzusuchen. Dabei fiel ihr die Akte X in die Hände. ›Die muss ich in einem anderen Leben verfasst haben‹, dachte sie. Dann sagte sie laut: »Amelie Lenz, du hast Mist gebaut.« Und kurz darauf klingelte das Telefon.
Es war Josef Lenz. »Hallo Amelie, schau, dass du zu einem Fernsehapparat kommst, es ist etwas Furchtbares geschehen!«
Sie rannte ins Café Eiles . Fassungslose Menschen um das TVGerät. Bilder aus einem Horrorfilm, Flugzeuge rasen in das World Trade Center. Alles ist so unwirklich, dachte Amelie. Es kann doch nicht sein, dass alles gleichzeitig kracht. Die eigenen Träume, die eigene Lebensgrundlage, die Sicherheit der Welt.
Abends im Salettl ertrug sie das Alleinsein nicht mehr. Uli war nicht in der Stadt, er war mit Ludwig auf dessen Bitte in die Bretagne gereist, um den Sprung in ihrer Beziehung zu kitten. Burgi wollte sie nicht anrufen, nicht so dicht an der Enttarnung des wahren Gregor Freytag. Also läutete sie bei den Zadrazils.
»Frau Pepi, ich kann mir das Fernsehen nicht allein ansehen, das ist alles so niederschmetternd, darf ich reinkommen und mir die Sondersendung mit Ihnen anschauen?«
Die Hausmeisterin fasste sie an beiden Händen und zog sie in das muffige Wohnzimmer.
»Kumman S’, Fräu’n Lenz, kumman S’ eina, setzen S’ Ihna hin.« Es war mit so viel Warmherzigkeit gesagt, dass Amelie sich geborgen fühlte. Den besten Stuhl schob die Zadrazil neben den ihrigen. Wie im Kino saßen sie in einer Reihe, Amelie, Frau Pepi und ihr zuckerkranker
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