Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
Mann. Das Ehepaar hielt sich an den Händen, während es die grässlichen Bilder aus New York verfolgte. Kopfschüttelnd, schweigend. Nur ab und zu murmelte entweder er oder sie. »Wos san denn des für Menschen, die sowas tuan.«
Wie vereinbart, kam Lorenz zu ihr in den Laden. Anhand von Bilanzen und Kalkulationen versuchte er, Amelie zu erklären, wo der Hase im Pfeffer lag.
»Du hast schlecht gewirtschaftet, Püppchen«, stellte er abschließend fest.
»Wieso?«, fragte Amelie. Aus schierem Unverständnis waren ihre violetten Augen dunkel und rund wie Wagenräder geworden.
Lorenz schüttelte den Kopf. »Du hast nichts begriffen, was? Ein Wunder, dass du nicht schon früher Pleite gegangen bist. Vom Geschäft verstehst du leider einen Schmarrn!« Geduldig setzte er ihr auseinander, welche Schritte sie unternehmen müsse, um den Laden bis zum Jahresende los zu sein. Dass sie zum vierten Quartal kündigen und das Geschäft bis zum 31. Dezember geräumt sein müsse. Dass sie die billige Ware rasch abverkaufen und die wertvolle in Salzburg einlagern solle.
»Und wenn das alles geschehen ist, was mache ich dann?«, fragte Amelie mutlos.
»Du könntest nach Salzburg kommen, mit Josef in der Offizine arbeiten und nebenbei mit altem Spielzeug handeln.«
»Nie und nimmer«, erwiderte sie bockig. »Ich geh doch nicht nach Hause zurück wie ein geschlagener Ritter.«
Lorenz zuckte die Achseln. »Na dann nicht. Bleib in Wien und arbeite als Agentin von deinem Salettl aus.«
»Da werde ich trübsinnig vor Einsamkeit«, murmelte Amelie und senkte die weißen Augendeckel langsam über ihre farbenprächtigen Augen. Es wirkte nahezu theatralisch. Lorenz, der dabei gewesen war, die Geduld mit ihr zu verlieren, musste schmunzeln.
»Wie steht es denn mit deinem Liebesleben, Püppchen. Aufbruch? Abbruch? Zeit der Brache?«
Amelie fuhr mit beiden Händen durch ihr schweres Haar. »Frag nicht, Lorenz, frag besser nicht.« Sie sah ihn abschätzend an. »Und du?«, sagte sie schließlich. »Nach Brache siehst du mir nicht aus. Bist du noch mit Susan zusammen?«
Lorenz nickte. »Wir werden im Frühling heiraten. Es wird Zeit.«
Als er gegangen war, saß Amelie lange reglos an ihrem Schreibtisch und trieb Gedankenspiele mit der Zeit: die sie hatte und nicht wollte; die sie wollte und nicht hatte. Die schleichende, tropfende, tickende, rasende Zeit.
Wenige Tage darauf begegnete sie Hermann Söhnke. Sie stand in ihrer Lieblingsbuchhandlung am Kohlmarkt und durchforstete die Taschenbuchbestände nach leichter Unterhaltung für einsame Abende. Aus den Augenwinkeln nahm sie zwei hochgewachsene Menschen wahr, die vor der Auslage stehen geblieben waren. Sie verharrten da und sprachen offenbar über das Schaufensterangebot. Eine der Gestalten gestikulierte auf eine Art, die Amelie bekannt vorkam. Es war Hermann. An seiner Seite eine große blonde Frau. Sie waren untergehakt, standen dicht nebeneinander, waren eindeutig ein Paar.
Rasch kehrte Amelie der Auslage den Rücken zu. Sie wollte von Hermann nicht entdeckt werden, nicht jetzt, nicht so, nicht in einer Position der Schwäche.
Zu spät. Schon hatte Hermann sie durch das Schaufenster erspäht. Er winkte ihr zu, sah plötzlich nur mehr Amelies Rücken und betrat, die Frau hinter sich herziehend, forschen Schrittes die Buchhandlung.
»Amelie, das nenne ich Zufall«, schmetterte er gut gelaunt. »Monate haben wir uns nicht gesehen, und gerade jetzt…seit Tagen will ich dich anrufen, um dir zu erzählen, dass ich heiraten werde.«
›Jetzt auch noch der‹, fuhr es Amelie durch den Kopf. Widerstrebend wandte sie sich ihm zu und versuchte eine erstaunterfreute Miene aufzusetzen. »Hallo Hermann, wie schön für dich.« Ihre Mundwinkel hielten das gezwungene Lächeln nicht durch. Sie sah zu der blonden Frau auf und sagte ohne Enthusiasmus: »Ich nehme an, Sie sind die Glückliche.«
»Jawohl!«, antwortete Hermann an Stelle der Frau. Strahlend blickte er von Amelie zur Zukünftigen und wieder zurück. »Amelie, Rosemarie«, machte er bekannt und begann ohne Punkt und Komma zu berichten, was ihm in den letzten Monaten widerfahren war. Die Begegnung mit Rosemarie, einer aus Deutschland stammenden Germanistin. Die blitzartige geistige Vertrautheit beider, aus der sich der Rest – hehehe – von selbst ergeben habe. Wie es Amelie ergangen war, interessierte ihn offenbar nicht, er sprach nur von sich, seinem Glück, seiner Lebensplanung – Hochzeit in Wien, ständiger Wohnsitz in
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