América
schwang amüsierter Spott mit, und jetzt blickte Cándido auf, weil er sich fragte, worum es eigentlich ging. »Was zum Teufel soll ich mit einem Truthahn anfangen?«
Der Mann war Mitte Zwanzig, ein großspuriger, langhaariger Typ, an dessen Fingern Ringe blitzten. Der andere, sein Gefährte, trug sechs kleine Ringe im Ohrläppchen. »Nimm das Ding doch mit, Alter«, sagte der zweite. »Komm schon, Jules, ist doch total schräg. Nimm ihn mit. Mann, ein Truthahn! Ein bescheuerter Truthahn!«
Sie hielten den Betrieb auf. Die ersten Köpfe wandten sich um. Cándido, der direkt hinter ihnen stand, sah auf seine Füße.
»Willst du ihn vielleicht braten?« fragte der erste.
»Braten? Meinst du, der paßt in die Mikrowelle?«
»Sag ich doch: was zum Teufel sollen wir mit so 'nem bescheuerten Truthahn machen?«
Und dann stockte die Zeit, kristallierte sich und blieb in diesem langen Moment in der Schwebe, um drei Uhr nachmittags an Thanksgiving, im toten Licht des Supermarkts und unter den scharfen, katzenäugigen Blicken der Gringos. »Was ist denn mit dem Typ hier? Der sieht doch aus, als könnte er 'nen Truthahn gebrauchen. He, Mann -« und hier fühlte Cándido, wie sich ein Finger in seine Schulter bohrte, so daß er aufblickte und die Situation wahrnahm: die beiden schicken Burschen, die Plastiktüte mit den Einkäufen, die entnervte Kassiererin mit der aufgetürmten Frisur und den großen gefrorenen Vogel, diesen pavo in seiner Hülle aus weißer Haut, der hart wie ein Ziegelstein auf dem schwarzen Förderband lag, »... willst du 'nen Truthahn?«
Etwas passierte hier. Sie stellten ihm eine Frage, zeigten auf den Truthahn und wollten irgend etwas wissen - aber was? Was wollten sie von ihm? In wachsender Panik sah sich Cándido um: jeder in der Schlange beobachtete ihn. »Nix sprechen Englihsss«, sagte er.
Der eine Mann, der näher bei ihm stand, der mit den Ohrringen, brach in Gelächter aus, und der andere fiel ein. »Oh, Mann«, sagte der erste, »oh, Mann«, und das Lachen schmerzte Cándido wie ein Messerstich. Warum mußten sie das immer tun? dachte er, und seine Miene verfinsterte sich.
Jetzt mischte sich die Kassiererin ein und flötete: »Ich glaube nicht, daß wir das machen können, Sir«, sagte sie. »Der Truthahn ist für den Kunden, der den Einkauf tätigt. Wenn er hier« - sie deutete mit einem Schlenker ihrer lackierten Nägel auf Cándido - »auch für fünfzig Dollar einkauft, kriegt er einen, genau wie Sie. Aber falls Sie Ihren nicht wollen ...«
»Scheiße, ein Truthahn«, sagte der erste und lachte so heftig, daß er die Worte kaum herausbrachte, »was für ein Konzept!«
»He da, geht's endlich weiter da vorn?« krähte ein großer Schwarzer mit gefurchter Stirn am Ende der Schlange.
Der Mann mit den Ohrringen schüttelte sein langes Haar, sah zu dem Schwarzen und grinste ihn breit an. »Yeah«, sagte er schließlich und wandte sich wieder der Kassiererin zu, »ja doch, ich will meinen Truthahn.« Cándido mied seinen Blick und sein höhnisches Grinsen, während der Truthahn den Weg in eine Plastiktüte fand. Aber die Männer gingen nicht aus dem Laden, noch nicht. Sie blieben neben der Kassiererin stehen und sahen zu, beide ein erstarrtes Grinsen im Gesicht, wie sie Cándidos Einkäufe eintippte, und dann, als Cándido sich an ihnen vorbeischieben wollte - er wollte keinen Ärger, bestimmt nicht, weder jetzt noch irgendwann -, hob der erste von ihnen den großen gefrorenen, fünfeinhalb Kilo schweren Truthahn hoch und ließ ihn Cándido in die Arme fallen, der gar keine andere Wahl hatte, als das schwere Ding aufzufangen, steinhart und eiskalt bis auf die Knochen war es, dabei ließ er fast die Flaschen fallen, sein kostbares Bier, und immer noch begriff er nicht.
»Frohes Thanksgiving, Mann«, sagte der mit den Ohrringen, und damit gingen die beiden aus dem Laden. Ihre langen Gringobeine bewegten sich wie Scheren durch das grelle Licht des Eingangs, und der heiße Wind fuhr herein.
Cándido stand wie benommen da und sah in all die weißen Gesichter, die ihn anstarrten, versuchte die Konsequenzen dessen zu erfassen, was eben passiert war. Dann verstand er und akzeptierte es, so wie er ein Stück Fleisch geschluckt hätte, ohne es zu zerschneiden, er hätte es einfach verschlungen, weil es nun einmal auf den Zinken der Gabel steckte. Er klemmte sich den gefrorenen Geflügelklumpen unter den Arm, hastete zur Tür hinaus und quer über den Parkplatz, ehe jemand kommen und ihm seine
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