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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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jedenfalls kannten wir sie, bevor Albert sich das Leben nahm ... Sie haben falsch investiert, habe ich gehört ...« Es klang weniger nach Tatsache als nach Vermutung, es war eine Gesprächseröffnung: sie wollte Klatsch. Und Klatsch war eine Ware, die Kyra sonst jederzeit auf Lager hatte, wenn es ihren Zwecken dienlich war. Diesmal aber erwiderte sie nur: »Sie lebt jetzt in Italien.«
    »In Italien?«
    »Ihre Familie hat dort ein Landgut. Bei Turin. Wußten Sie das nicht?« In Wahrheit kannte Kyra diese Patricia Da Ros kaum - sie hatte das Objekt über das Büro in Beverly Hills zugewiesen bekommen, und abgesehen von zwei Ferngesprächen waren alle Arrangements per Fax getroffen worden.
    Louisa schwieg einen Moment und betrachtete einige Keramikfiguren, die auf einer hell lackierten Kommode in neugotischem Stil aufgestellt waren. Dann hob sie den Kopf wie ein Jagdhund, der ein kaum hörbares, weit entferntes Geräusch wahrnimmt. Es war halb fünf Uhr nachmittags, und die Vorhänge des großen Hauptraums loderten in der Abendsonne. »Was das Haus anbelangt, waren sie komisch. Haben Sie gewußt, daß sie nie jemanden eingeladen haben? Wirklich niemals!«
    Kyra stieß einen leisen, vage fragenden Laut aus. Das war ihr Stichwort, mit der Lobeshymne auf das Haus zu beginnen und von der schönen Aussicht, der herrlichen Stille, der teuren und exklusiven Ausstattung zu schwärmen, aber irgend etwas hielt sie zurück. Sie war heute unwillig, in merkwürdiger Stimmung, und während sie die elegante, geschäftige Frau dabei beobachtete, wie sie durch die Korridore schritt und in Schränke lugte, kam ihr eine Erkenntnis, die sie überraschte - ihr wurde klar, daß sie das Haus eigentlich gar nicht verkaufen wollte. Sie hatte sich das Objekt gewünscht, das schon, und sie war zur Maklerin geboren, und die Provision würde ihr eine Stange Geld bringen und ihr zudem zum viertenmal hintereinander den höchsten Jahresumsatz im Büro sichern, aber sie hatte noch nie so für ein Haus empfunden. Je länger sie dann zubrachte, beschützt vor der heißen, trockenen, beinharten Welt, desto mehr spürte sie, daß es ihr Haus war - wirklich ihres, nicht nur im metaphorischen Sinn. Wie konnten diese Menschen es auch nur ansatzweise so schätzen wie sie? Konnte das überhaupt irgendwer?
    »Es stimmt schon«, fuhr die Frau jetzt fort und zog an der unteren Schublade einer verschlossenen Anrichte, »sie waren ein bißchen weit vom Schuß hier oben ... es ist herrlich gelegen, so meine ich das nicht, am Rand von Malibu und keine zwanzig Minuten von Santa Monica, oder? Trotzdem, selbst wenn die Da Ros Partylöwen gewesen wären, frage ich mich, wie viele den langen Weg hierher in Kauf genommen hätten ...«
    Kyra hatte nichts dazu zu sagen. Bill Greutert hatte ihr zuvor anvertraut, daß er und seine Frau etwas Abgelegenes suchten, und er war speziell an diesem Haus interessiert gewesen. Es ist einfach so überfüllt da unten, hatte er gesagt, man hat immer das Gefühl, die Stadt schnürt einem die Luft ab, sogar noch in Bel Air. Es sind so furchtbar viele - er hatte entnervt die Hand gehoben, auf der Suche nach einem wohlüberlegten Ausdruck - Leute, verstehen Sie, was ich meine?
    Kyra verstand. Seit den Unruhen kamen Dutzende von Paaren wie die Greuterts zu ihr. Sie alle wollten etwas Abgelegenes, ein ländliches, rustikales, sicheres Haus - möglichst weit weg von Leuten jedweder Klasse und Hautfarbe, aber vor allem weit weg von den Horden der Einwanderer, die sich aus Mexiko und Mittelamerika, aus Dubai, Burundi und Litauen, aus Asien und Indien und dem ganzen Rest der bewohnten Welt ins Land ergossen. Braune Leute. Farbige Leute. Leute in Saris, Ponchos und kaffiyehs. Das war es, was Bill Greutert meinte. Mehr brauchte er nicht zu sagen.
    Eine Stunde später zog Louisa Greutert immer noch ihre Runden durch das Haus, prüfte alle Schubladen wie ein Polizist am Schauplatz eines Verbrechens, während ihr Mann vor der Kulisse des Cañyons auf und ab ging, die Hände fest hinter dem Rücken verschränkt. Kyra bemühte sich, aufmerksam zu bleiben, versuchte ehrliche und hilfreiche Auskünfte zu geben, doch mit dem Herzen war sie nicht dabei. Ihr winkte auf beiden Seiten des Geschäfts eine Provision - es war kein anderer Makler beteiligt -, aber sie konnte sich einfach nicht motivieren. Am Ende der zweiten Stunde hatte sie es sich in einem Ledersessel in der Bibliothek bequem gemacht, wo sie aus dem Fenster in den sonnenhellen Dunst starrte und

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