América
dem Thema gesagt hat, und dessen liberale Gesinnung wird ja wohl niemand in Frage stellen, aber unsere Gesellschaft ist einfach nicht mehr, was sie einmal war - und das wird sich nicht bessern, solange wir die Grenzen nicht im Griff haben.«
Die Grenzen. Unwillkürlich tat Delaney einen Schritt zurück, und lauter dunkle, verworrene Gesichter, die sich an Straßenecken und Autobahnauffahrten nach ihm umwandten, überfluteten sein Gehirn, und sie alle schrien ihre Bedürfnisse hervor, aus Mündern voll fauler Zähne. »Das ist Rassismus, Jack, und das weißt du auch.«
»Ganz und gar nicht - es ist eine Frage der staatlichen Souveränität. Ist dir klar, daß die USA im letzten Jahr mehr Einwanderer aufgenommen haben als alle anderen Länder dieser Welt zusammen - und daß die Hälfte von ihnen sich in Kalifornien angesiedelt hat? Und das sind nur die legalen Einwanderer, Leute mit Ausbildung, Fertigkeiten und finanziellen Mitteln. Aber was uns umbringt, das sind die anderen, die durch den Tortilla-Vorhang im Süden kommen. Das sind Bauern, mein Freund. Keine Bildung, kein Geld, nicht sehr geschickt - alles, was sie zu bieten haben, ist ein kräftiger Rücken, nur ist es die Ironie des Schicksals, daß wir immer weniger kräftige Rücken brauchen, weil wir Roboter und Computer und landwirtschaftliche Maschinen haben, die die Arbeit von hundert Männern erledigen, und zwar zu einem Bruchteil der Kosten.« Er ließ die Hand sinken und winkte ab. »Das ist ja nichts Neues.«
Delaney stellte die Milch auf den Boden. Er hatte es eilig, das Essen stand auf dem Herd, im Auto saß Jordan, Kyra war auf dem Weg, aber in seinem Eifer vergaß er das alles. »Ich kann es nicht fassen«, sagte er und schien seinen freien Arm nicht kontrollieren zu können, der einen weiten Bogen beschrieb. »Ist dir überhaupt bewußt, was du da redest? Einwanderer sind der Lebenssaft dieses Landes - wir sind eine Nation von Einwanderern, und keiner von uns würde heute hier stehen, wenn's nicht so wäre!«
»Das sind Klischees. Es gibt einen Sättigungspunkt. Übrigens haben die Jardines im Unabhängigkeitskrieg mitgekämpft - da kann man uns kaum noch Einwanderer nennen.«
»Jeder ist von irgendwo eingewandert. Mein Großvater kam aus Bremen, und meine Großmutter war Irin - macht mich das als Bürger weniger wertvoller als die Jardines?«
Eine Frau mit eisgrauem Haar und einer Gesichtshaut, so straff wie ein Trommelfell, duckte sich zwischen ihnen hindurch, um ein Glas Oliven zu nehmen. Jack bemühte sich um einen etwas rauheren Tonfall: »Darum geht es nicht. Die Zeiten haben sich geändert, mein Lieber. Und zwar radikal. Hast du auch nur die leiseste Ahnung, was uns diese Leute kosten - nicht nur in puncto Verbrechen, sondern in baren Steuerdollars, für Sozialleistungen? Nein? Dann solltest du dich mal informieren. Das in der Times hast du doch sicher gelesen, den Artikel über die San-Diego-Studie?«
Delaney schüttelte den Kopf. Er empfand Mutlosigkeit, hörte das Wummern der Phantom-Lautsprecher. Plötzlich ging ihm wieder die Krötenechse durch den Kopf: Welchen Sinn hatte es eigentlich, das eigene Blut aus den Augen zu verspritzen? Wäre das nicht die reinste Bratensoße für den Feind, der einen gleich verspeisen würde?
»Also, Delaney«, fuhr Jack fort, gelassen und vernünftig, seine Stimme wieder voll- und wohltönend, »da gibt es eine einfache Gleichung: Input gegen Output. Die illegalen Ausländer im Bezirk San Diego trugen zum Steueraufkommen mit siebzig Millionen bei und nahmen gleichzeitig zweihundertvierzig Millionen an Leistungen in Anspruch - Fürsorge, Notfallmedizin, Lehrergehälter und so weiter. Willst du dafür zahlen? Und für die steigende Verbrechensrate? Willst du, daß sich dir noch ein verrückter Mexikaner vor die Räder wirft, weil er auf Schmerzensgeld von der Versicherung hofft? Oder schlimmer noch: Willst du, daß einer von denen hinter dem Lenkrad sitzt und auf dich losdonnert, ohne Versicherung, ohne Bremsen, ohne alles?«
Delaney versuchte seine Gedanken zu sammeln. Er wollte Jack sagen, daß er unrecht hatte, daß jedermann eine Chance im Leben verdiente und daß sich die Mexikaner genauso assimilieren würden wie vorher die Polen, Italiener, Deutschen, Iren und Chinesen und daß ihnen die Amerikaner Kalifornien ohnehin gestohlen hätten, aber er kam nicht dazu. In diesem Moment tauchte Jack jr. hinter der Preiselbeersaftauslage auf, bekleidet mit einem riesigen flatternden Segel von T-Shirt und
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