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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Streifen reduziert. Die erste Kurve löschte das Bild.
    Weiter oben war ein Bautrupp bei der Arbeit, gleich hinter der Brücke am Ausgang des Cañons, wo die Straße den Bach überquerte. Schon beim Hinunterfahren hatte ihn die Baustelle Zeit gekostet, und einem plötzlichen Entschluß folgend bremste er vor der Reihe der großen gelben Baggerfahrzeuge und hielt auf der Bankette an. Warum nicht gleich hier aufbrechen, dachte er, wo der Cañon nur fünf bis zehn Meter tief war? Der Weg flußaufwärts war so zwar noch weiter, dafür sparte er sich beim Zurückkommen den steilen Anstieg zum Wagen. Natürlich war er nicht allzu glücklich bei dem Gedanken, ihn einfach am Straßenrand stehen zu lassen, aber er hatte keine andere Wahl. Wenigstens würde die Baustelle den Verkehr abbremsen und ein wenig Schutz vor betrunkenen Rasern bieten. Er schulterte sein Gepäck, betrachtete ein letztes Mal bewundernd sein Auto und den prächtigen Effekt der schnittigen weißen Linienführung vor dem Hintergrund der Büsche, wie in einer dieser Zurück-zur-Natur-Autowerbungen, dann wandte er sich um und schlitterte den kieselsteinigen Hang hinunter in die schattige Kühle des Bachbetts.
    Das erste, was er sah - eine knappe Minute nachdem er den Bach erreicht hatte und noch ehe er Gelegenheit fand, das Licht in den Bergahornbäumen zu bewundern, oder das Wasser, das sich wie eine endlose Schnur über die Steine fädelte -, waren zwei schmutzige Schlafsäcke, die auf dem etwas erhöhten, sandigen Ufer gegenüber ausgebreitet lagen. Schlafsäcke. Er konnte es nicht fassen. Keine zweihundert Meter von der Straße entfernt lagerten sie, dreist und gedankenlos, direkt unter der Nase der Behörden! Er kletterte auf einen Felsen, um besser sehen zu können, und entdeckte rechts neben den Schlafplätzen einen geschwärzten Steinring und eine mottenzerfressene Khakitasche, die vom untersten Ast eines Baums hing. Und Müll. Überall Müll. Dosen, Flaschen, die weggeworfenen Verpackungen von Fertigsandwiches und burritos, Klopapier, Zeitschriften - und all das auf dem Boden verstreut, als hätte es der Wind dorthin verweht. Delaney atmete heftig ein. Als allererstes verspürte er weder Erstaunen noch Zorn - sondern Verlegenheit, als wäre er in das Schlafzimmer fremder Leute eingebrochen und hätte ihre Schränke durchstöbert. Unsichtbare Augen beobachteten ihn. Er sah über die Schulter, warf einen raschen Blick in beide Richtungen des Bachbetts und spähte dann zu den Baumwipfeln empor.
    Lange Zeit stand er wie angewurzelt da und kämpfte gegen den Impuls an, durch den Bach zu waten, um den ganzen Dreck zusammenzupacken und zum nächsten Mülleimer zu schleifen - das würde ihnen eine Lehre erteilen! Es war unerträglich. Eine Entweihung. Schlimmer als Graffiti, schlimmer als alles andere. War es nicht genug, daß sie den größten Teil des Planeten entweiht hatten, das Land asphaltiert und die Täler aufgefüllt hatten, bis ein wahres Abfallgebirge entstanden war? Plastikmüll verstopfte die Bäuche von Robben, und im Blut eines vergifteten Kondors, der wie ein gestrandeter Sonnenschirm in den Sespe Hills gefunden worden war, hatte man Methanol festgestellt. Es wurde immer schlimmer.
    Er betrachtete seine Hände und sah, daß sie zitterten. Mühsam versuchte er, sich zu beruhigen. Er war kein einsamer Rächer. Dem Gesetz Geltung zu verschaffen war nicht seine Aufgabe, ganz gleich wie eklatant die Übertretung war - dafür zahlte er schließlich Steuern, oder? Weshalb sollte er sich von so etwas den Tag verderben lassen? Auf keinen Fall - er würde seine Wanderung machen, viele Kilometer zwischen sich und diesen dreckigen kleinen Lagerplatz legen, dieses Scheißhaus inmitten der Natur, und nach seiner Rückkehr würde er den Sheriff benachrichtigen. Sollte der sich doch darum kümmern. Am besten nachts, wenn die Verursacher dieser Schweinerei sich darin suhlten, betäubt von Rauschgift und billigem Wein. Wieder stieg das Bild seines Mexikaners vor ihm auf, aber diesmal war es nicht mehr als ein Aufblitzen, und er kämpfte es nieder. Dann wandte er sich ab und marschierte flußaufwärts.
    Es war ein schwieriger Weg, er mußte über Felsen und durch das dichte Gestrüpp vertrockneter Büsche klettern, aber die Luft war frisch und klar, und während die Wände des Cañyons rechts und links höher wurden, schwanden die Geräusche der Straße und wurden von der Melodie des plätschernden Wassers abgelöst. Buschmeisen flatterten in den Bäumen, ein

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