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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Garage auf, wo eine drei Meter hohe Hecke aus rotem Oleander die Tatsache verhüllte, daß das Gelände von da an stark abfiel und mit Gestrüpp bewachsen war. Als sie sich durch den Oleander schob, ruinierte sie ihre teuren Strümpfe, keine fünf Schritte dahinter verrenkte sie sich in einem Rattenloch einen Knöchel und hätte sich um ein Haar auch noch den Absatz abgebrochen. In der Ferne sah sie den Zaun aus Maschendraht, aber er war so dicht überwachsen, daß man ihn kaum erkannte, eine mäandernde Grenze, die offenbar einem ausgetrockneten Bachbett folgte und dann jäh den Steilhang hinabstürzte, auf dem das Haus sich erhob. Kyra hielt sich an einen Baum fest, um die Schuhe auszuziehen, dann machte sie kehrt, um durch die Oleandersträucher auf den Rasen zurückzugelangen.
    In diesem Moment fiel ihr eine Bewegung auf dem Rasen vor dem Haus auf. Die Rasenfläche war nicht voll einzusehen, weil sie leicht absank. Etwas Hellbraunes. Ein Reh, dachte sie. Ein Coyote. Aber das waren nicht die zögerlichen, scheuen Bewegungen eines Tiers, und im nächsten Augenblick sah sie Kopf und Schultern eines Mannes aus der Senke auftauchen, dann auch Oberkörper, Hüfte und zwei weit ausschreitende Beine; ihm folgte ein zweiter Mann dicht auf den Fersen. Es waren Mexikaner, da war sie sicher, selbst auf diese Entfernung, und nun wurde ihr die Herkunft des Einkaufswagens schlagartig klar. Angst zu haben fiel ihr gar nicht ein. In ihrem Kostüm, die Schuhe in der Hand, marschierte sie quer über den Rasen, um sich den Männern entgegenzustellen.
    Als sie um die Ecke der Garage bog, waren sie keine zehn Meter mehr von ihr entfernt; offenbar waren sie stehengeblieben, weil sie das Auto gesehen hatten. Der Größere der beiden - er trug eine Baseballmütze verkehrt herum auf dem Kopf und eine zusammengerollte Decke über der Schulter - drehte sich gerade in leicht gebeugter Haltung zu seinem Begleiter um. Dieser bemerkte sie zuerst, Kyra sah ihn erschrocken zusammenzucken und dem anderen eine Warnung zuraunen, während sie um die Ecke bog und auf sie zusteuerte. »Was glauben Sie eigentlich, was Sie hier tun?« rief sie, ihre Stimme schrill und gebieterisch. »Das ist Privatbesitz!«
    Der größere Mann wandte sich zu ihr um und warf ihr einen Blick zu, der sie innehalten ließ. Etwas in seinem Blick warnte sie, näher zu kommen - das hier war keine Konfrontation wegen eines Hundes auf dem Restaurantparkplatz. Er funkelte sie an, und sie sah den Haß und die Verachtung in seinen Augen, das Potential an Brutalität, das Wissen und die Gewißheit darum. Er kaute etwas. Er drehte den Kopf und spuckte lässig ins Gras. Sie stand drei Meter von ihm entfernt, und bis zum Auto war es mindestens genauso weit. »Tut mir leid«, sagte sie, und ihre Stimme zitterte, sie hörte es selbst, sie klang ganz lahm und tonlos, »aber hier dürfen Sie nicht rein. Das, das ist Hausfriedensbruch.«
    Sie sah den Blick, den die beiden tauschten, ein elektrisierendes Flackern, ein Blick von sofortigem und absolutem Einverständnis. Das nächste Haus lag einen halben Kilometer bergab, außer Sicht und außer Hörweite. Mit einem Mal hatte sie Angst, ein urtümliches tiefes Entsetzen breitete sich tief in ihrem Inneren aus.
    »Gehört Ihnen diese Haus, Lady?« fragte der Große und musterte sie wieder mit diesem festen, unbewegten Blick.
    Sie sah ihn an, dann den anderen Mann. Er war dunkler, kleiner, hatte schulterlanges Haar und einen seidigen, pelzartigen Flaum auf dem Kinn. »Ja«, log sie und sprach dabei beide an, versuchte den Blickkontakt zu halten, versuchte ihnen etwas zu verkaufen. »Meinem Mann und mir. Und meinem Bruder.« Sie deutete vage in Richtung des Hauses. »Sie sind da drinnen, mixen Drinks zum Abendessen.«
    Der Große sah zweifelnd auf das Haus, das große, breite Artefakt aus Stein, Holz und Glas, das vor dem Horizont aufragte wie ein Monument zu Ehren des herrschenden Stammes, und dann sagte er etwas auf spanisch zu seinem Gefährten, ein schneller, plötzlicher Ausbruch von Sprache. Sie wäre am liebsten zum Auto gerannt, hätte die Tür aufgerissen und von innen auf die Zentralverriegelung gedrückt, bevor sie sie erreichen konnten; dann könnte sie den Motor aufheulen lassen und den Wagen wenden, das Lenkrad voll eingeschlagen, das Gaspedal durchgetreten, und dann die beiden einkreisen ...
    »Uns tut sehr leid«, sagte der Große und senkte dabei den Kopf, verlogen und unterwürfig zugleich, dann blickte er sie wieder grinsend

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