American Gods
es noch Wölfe und Bären und alles Mögliche, was man heute nicht mehr in dieser Gegend zu sehen kriegt, allerdings keine Hodags, das ist nur so eine Sage, die man von den Hodags erzählt, und ich werde doch nicht meine Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen, indem ich Ihnen solche Märchen erzähle, nein, nein, mein Herr –, er hat den Graben also mit Balken abgedeckt, und nach dem nächsten Schneefall war davon nichts mehr zu sehen, außer der Fahne, die er aufgepflanzt hatte, damit er den Graben wieder finden konnte.
Auf diese Weise ist mein Großpapa immer bequem durch den Winter gekommen und musste sich keine Sorgen machen, dass ihm das Essen oder der Brennstoff ausgehen könnte. Und wenn abzusehen war, dass der echte Frühling sich näherte, ist er zur Fahne gegangen und hat den Schnee weggeschaufelt, die Holzbalken zur Seite gerückt und die ganze Familie einen nach dem anderen ins Haus getragen, wo er sie vors Feuer gesetzt hat, damit sie wieder alle auftauen konnten. Es hat sich nie jemand beschwert, außer einmal einer von den Knechten, der hatte ein halbes Ohr an eine Mausfamilie verloren, die ihn ein bisschen angeknabbert hatte, weil mein Großpapa die Holzbalken nicht richtig fest aneinander geschoben hatte. Damals gab’s natürlich noch echte Winter. Da konnte man so was machen. Diese schlappen Winter, die wir heutzutage haben, da wird es doch gar nicht mehr richtig kalt.«
»Ach wirklich?«, fragte Shadow. Er spielte den Stichwortgeber und amüsierte sich köstlich dabei.
»Das letzte Mal war 1949, und Sie sind vermutlich zu jung, um sich daran zu erinnern. Da konnte man noch Winter dazu sagen. Wie ich sehe, haben Sie sich ein Fahrzeug zugelegt.«
»Jawoll. Was halten Sie davon?«
»Den Gunther-Jungen habe ich, ehrlich gesagt, nie besonders gemocht. Ich hatte mal einen Forellenbach draußen im Wald, hinter meinem Grundstück, ganz weit hinten, na gut, es war Gemeindeland, aber ich hatte Steine in den Bach gelegt, kleine Becken angelegt, wo die Forellen sich gern aufhalten, und so weiter. Hab auch ein paar schöne Exemplare gefangen – das eine muss gut und gern eine sechs-, siebenpfündige Bachforelle gewesen sein, und dieser kleine Gunther Soundso, der hat alle meine Becken kaputt gemacht und gedroht, mich beim Naturschutzamt anzuzeigen. Jetzt ist er in Green Bay, aber es wird nicht lange dauern, dann ist er wieder hier. Wenn es hier unten gerecht zugehen würde, dann wäre er als Winterausreißer in der großen weiten Welt verschwunden, aber nein, er bleibt hier kleben wie eine Klette an einer Wollweste.« Er begann den Inhalt von Shadows Begrüßungskorb auf der Arbeitsplatte auszubreiten. »Das ist Katherine Powdermakers Holzapfelmarmelade. Jedes Jahr zu Weihnachten schenkt sie mir einen Topf voll, das geht schon länger, als ich zurückdenken kann, und die traurige Wahrheit ist, dass ich noch nie einen aufgemacht habe. Die stehen bei mir im Keller, vierzig, fünfzig Pötte. Vielleicht mache ich irgendwann mal einen auf und stelle fest, dass mir das Zeug schmeckt. Aber erst mal kriegen Sie einen Topf. Vielleicht mögen Sie ja so was.«
»Was ist ein Winterausreißer?«
»Hm.« Der alte Mann schob die Wollmütze nach oben über die Ohren und rieb sich die Schläfe mit seinem rosa Zeigefinger. »Tja, das ist nicht auf Lakeside beschränkt – wir sind eine gute Stadt, besser als die meisten anderen, aber vollkommen sind wir auch nicht. Manchmal im Winter, na ja, da kriegt so ein Jugendlicher schon mal einen Rappel, wenn es so kalt wird, dass man nicht raus kann, und wenn der Schnee so trocken ist, dass man nicht mal einen Schneeball machen kann, ohne dass er einem in der Hand zerbröckelt …«
»Und dann laufen sie einfach weg?«
Der Alte nickte bedächtig. »Ich gebe da dem Fernsehen die Schuld. Weil es den Gören Dinge zeigt, die sie niemals besitzen werden – Dallas und Denver , all dieser Unfug. Seit Herbst 83 hab ich keinen Fernseher mehr, außer einem alten Schwarzweißgerät, das ich im Schrank stehen hab, falls ich Besuch aus der Stadt bekomm und ein wichtiges Spiel gezeigt wird.«
»Kann ich Ihnen irgendwas anbieten, Hinzelmann?«
»Keinen Kaffee, bitte. Krieg ich Sodbrennen von. Einfach Wasser.« Hinzelmann schüttelte den Kopf. »Das größte Problem in diesem Teil der Welt ist die Armut. Nicht die bittere Armut, die wir während der Wirtschaftskrise hatten, mehr so eine schleichende Verarmung, von den Rändern her. Die Holzfällerei ist tot, der Bergbau ist tot. Und von
Weitere Kostenlose Bücher