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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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zwanzig Pfund abnehmen, konnte er gut für Chad Mulligan durchgehen, seinen – was? Ururenkel? Shadow forschte, ob auch Hinzelmanns Pioniergroßvater irgendwo abgebildet war, aber anscheinend war dieser kein geeigneter Mann für den Stadtrat gewesen. Shadow meinte, er hätte den Namen Hinzelmann irgendwo im Text auftauchen sehen, als er von Foto zu Foto geblättert hatte, aber als er jetzt zurückblätterte, fand er die Stelle nicht wieder. Die kleine Schrift tat allmählich seinen Augen weh.
    Er legte das Buch auf der Brust ab und merkte, dass er schläfrig war. Es wäre töricht, auf dem Sofa einzunicken, befand er nüchtern. Das Schlafzimmer war nur wenige Meter entfernt. Andererseits würden das Schlafzimmer und das Bett auch in fünf Minuten noch da sein, und überhaupt, er hatte gar nicht die Absicht zu schlafen, er wollte nur mal eben die Augen ein bisschen ausruhen …
    Tosende Dunkelheit.
    Er stand auf freier Ebene. Neben ihm war die Stelle, aus der er einst hervorgekrochen war, aus der ihn die Erde herausgepresst hatte. Immer noch fielen Sterne vom Himmel, und aus jedem Stern, der die rote Erde berührte, wurde ein Mann oder eine Frau. Die Männer hatten langes schwarzes Haar und hohe Wangenknochen. Die Frauen sahen alle aus wie Marguerite Olsen. Es waren die Sternenmenschen.
    Sie sahen ihn mit dunklen, stolzen Augen an.
    »Erzählt mir von den Donnervögeln«, sagte Shadow. »Bitte. Nicht um meinetwillen. Um meiner Frau willen.«
    Einer nach dem anderen wandten sie ihm den Rücken, und als er ihre Gesichter aus den Augen verlor, waren sie verschwunden, waren eins mit der Landschaft geworden. Aber die Letzte von ihnen, die mit den weißen Strähnen im dunkelgrauen Haar, deutete, bevor sie sich abwandte, auf den weinfarbenen Himmel.
    »Frage sie selbst«, sagte sie. Sommerblitze flackerten am Horizont und erleuchteten zeitweilig die Landschaft, so weit das Auge reichte.
    In seiner Nähe befanden sich hohe Felsen, Türme und Erhebungen aus Sandstein, und Shadow schickte sich an, die nächstgelegene zu erklimmen. Eine spitz zulaufende Erhebung, die die Farbe von altem Elfenbein aufwies. Er griff nach einem Halt und fühlte, wie er sich in die Hand schnitt. Das ist Knochen, dachte Shadow. Kein Stein. Trockener alter Knochen.
    Es war ein Traum, und im Traum hat man keine Wahl: Entweder gibt es keine Entscheidungen zu treffen, oder sie sind schon, lange bevor der Traum begann, für einen getroffen worden. Shadow kletterte weiter. Die Hände taten ihm weh. Knochen brachen hervor und zerknirschten unter seinen bloßen Füßen. Der Wind zerrte an ihm. Er drückte sich an den Turm und kletterte immer weiter nach oben.
    Der Turm, stellte er fest, bestand aus nur einer einzigen Art von Knochen , die sich fortwährend wiederholte. Alle diese Knochen waren trocken und kugelig. Er stellte sich vor, dass es die Eierschalen eines riesigen Vogels waren. Ein neuerliches Blitzezucken belehrte ihn jedoch eines Besseren: Die Knochen hatten Augenlöcher und Zähne, die zu einem freudlosen Grinsen entblößt waren.
    Von irgendwo riefen Vögel. Regen spritzte ihm ins Gesicht.
    Er hing gut und gern hundert Meter an einem Knochenturm über dem Boden, während die Blitze in den Flügeln der schattenhaften Vögel zuckten, der Vögel, die die Turmspitze umflogen – gewaltige, schwarze, kondorartige Vögel, alle mit einer weißen Krause am Hals. Es waren riesige, elegante, furchtbare Vögel, und das Schlagen ihrer Flügel hallte in der Nachtluft wie Donner.
    Sie kreisten um die Turmspitze.
    Sie messen von einer Flügelspitze zur anderen bestimmt fünf, sechs Meter, dachte Shadow.
    Auf einmal brach der erste Vogel aus seinem Gleitflug aus und kam, während blaue Blitze in den Flügeln prasselten, auf ihn zu. Shadow drückte sich in einen Schädelspalt hinein, leere Augenhöhlen starrten, elfenbeinerne Zähne grinsten ihn an, aber er hörte nicht auf zu klettern, zog sich an dem Schädelberg hinauf, schnitt sich an jeder scharfen Kante die Haut auf, empfand Ekel, Schrecken und Ehrfurcht.
    Ein weiterer Vogel kam heran, und eine handgroße Klaue senkte sich auf seinen Arm.
    Er streckte die Hand aus, um eine Feder aus dem Flügel zu reißen – würde er ohne eine Donnervogelfeder zu seinem Stamm zurückkehren, verlöre er nämlich all seine Ehre, würde nie ein ganzer Mann werden können –, aber der Vogel schwang die Flügel empor, sodass Shadow keine Feder erwischen konnte. Der Donnervogel lockerte seinen Griff und glitt zurück in den

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