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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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die Kinder zugesprochen. Darren erhielt Besuchsrecht und sonst so gut wie nichts. Also, Leon war damals noch ziemlich klein. Sandy war älter, ein guter Junge, so einer, der seinen Daddy anbetet. Wollte nicht zulassen, dass Margie irgendwas Schlechtes über ihn sagt. Sie verloren das Haus – hatten ein hübsches Häuschen in der Daniels Road gehabt. Sie zog in die Wohnung. Er verließ die Stadt. Kam alle sechs Monate auf Besuch und machte alle unglücklich.
    Das ging so über ein paar Jahre. Er kam hierher, gab viel Geld für die Kinder aus, und Margie war ein heulendes Elend. Die meisten von uns hatten bald nur noch den Wunsch, dass er nie mehr wiederkommen würde. Seine Eltern waren nach Florida gezogen, als sie in Rente gingen, haben gemeint, sie würden den Winter in Wisconsin nicht mehr ertragen. Letztes Jahr ist er also hier rausgekommen und wollte die Jungen über Weihnachten mit nach Florida nehmen. Margie hat darauf gesagt, das könne er vergessen, er solle sich verziehen. Die Sache wurde ziemlich unangenehm – einmal musste ich sogar einschreiten. Familiäre Streitigkeiten. Als ich ankam, hat Darren vor dem Haus gestanden und rumgegrölt, die Jungen konnten kaum die Fassung bewahren, und Margie war am Weinen.
    Ich hab zu Darren gesagt, dass er sich auf eine Nacht in der Zelle einrichten kann, wenn er so weitermachen würde. Kurzfristig dachte ich schon, er würde mich schlagen wollen, aber er war noch nüchtern genug, das bleiben zu lassen. Ich hab ihn dann runter zur Wohnwagenkolonie südlich der Stadt gefahren, hab ihm gesagt, er soll Vernunft annehmen. Er hätte ihr genug angetan … Am nächsten Tag hat er die Stadt verlassen.
    Zwei Wochen später ist Sandy verschwunden. Ist nicht in den Schulbus gestiegen. Hat seinem besten Freund erzählt, er würde seinen Dad bald treffen, Darren würde ihm ein besonders cooles Geschenk machen, als Ersatz fürs verpasste Weihnachten in Florida. Seitdem hat ihn niemand gesehen. Entführungsfälle, in denen der nicht sorgeberechtigte Elternteil beteiligt ist, sind die kompliziertesten. Es ist ziemlich schwer, ein Kind zu finden, das nicht gefunden werden will, verstehen Sie?«
    Shadow bejahte. Es gab aber noch etwas, was er verstand: Chad Mulligan war in Marguerite Olsen vernarrt. Shadow fragte sich, ob der Mann wusste, wie offensichtlich das war.
    Abermals setzte Mulligan den Wagen mit blinkenden Lichtern in Bewegung und ließ ein paar Teenager, die hundert gefahren waren, am Straßenrand halten. Er verpasste ihnen aber keinen Strafzettel, sondern »wollte ihnen nur ein bisschen Gottesfurcht einpflanzen«.
     
    Abends saß Shadow am Küchentisch und versuchte nachzuvollziehen, wie man einen Silberdollar in einen Penny verwandelte. Es handelte sich um einen Trick, auf den er in Sensationelle Salonzaubereien gestoßen war, aber die Anleitung machte ihn wahnsinnig, weil sie undeutlich und deshalb wenig hilfreich war. Formulierungen wie »Lassen Sie den Penny anschließend auf die übliche Weise verschwinden« kamen in beinahe jedem Satz vor. Was war, fragte sich Shadow, in diesem Zusammenhang »die übliche Weise«? Französisches Fallenlassen? In den Ärmel schnippen? »O mein Gott! Achtung, ein Berglöwe!« schreien und die Münze in die Seitentasche stecken, während die Aufmerksamkeit des Publikums abgelenkt war?
    Er warf den Silberdollar in die Luft und fing ihn wieder auf, während er kurz an den Mond und an die Frau dachte, von der er den Silberdollar bekommen hatte, dann versuchte er sich an der Illusion. Es schien nicht zu funktionieren. Er ging ins Bad, um es vor dem Spiegel zu probieren, und fand seine Vermutung bestätigt: Der Trick, so wie er beschrieben war, funktionierte einfach nicht. Seufzend steckte er die Münzen wieder in die Tasche und ließ sich auf dem Sofa nieder. Er breitete den billigen Überwurf über den Beinen aus und schlug die Protokolle des Stadtrats von Lakeside, 1872-1884 auf. Die zweispaltig gedruckte Schrift war so klein, dass man sie kaum entziffern konnte. Er blätterte ein bisschen herum und sah sich die Reproduktionen von Fotografien aus der betreffenden Zeit an, die mehrere Inkarnationen des Stadtrats von Lakeside abbildeten: lange Backenbärte, Tonpfeifen, ramponierte und blank gewetzte Hüte, darunter Gesichter, die ihm oft seltsam vertraut vorkamen. Ohne große Überraschung stellte er fest, dass der beleibte Schriftführer des Stadtrats von 1882 ein gewisser Patrick Mulligan gewesen war: Rasierte man ihn und ließ ihn

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