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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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weit gegangen, dachte Shadow.
    Wednesday blickte beschämt zu Boden. »Es tut mir Leid«, sagte er. Shadow konnte echte Aufrichtigkeit in seiner Stimme hören. »Wir brauchen dich. Wir brauchen deine Energie. Wir brauchen deine Macht. Wirst du an unserer Seite kämpfen, wenn der Sturm kommt?«
    Sie zögerte. Um ihr linkes Handgelenk war ein Kranz blauer Vergissmeinnicht tätowiert.
    »Ia«, sagte sie nach einer Weile. »Ich glaube schon.«
    Es ist wohl wahr, was man sagt , dachte Shadow. Wenn man Aufrichtigkeit vortäuschen kann, hat man’s geschafft. Gleich aber bekam er wegen dieses Gedankens ein schlechtes Gewissen.
    Wednesday küsste seine Finger und berührte damit dann Easters Wange. Er rief die Kellnerin herbei, den Verzehr zu bezahlen, zählte sorgfältig das Geld ab, faltete es mit der Rechnung zusammen und überreichte es ihr.
    Als die Kellnerin sich schon umgedreht hatte, sagte Shadow: »Ma’am? Entschuldigen Sie. Ich glaube, Sie haben das hier fallen lassen.« Er hob einen Zehndollarschein vom Boden auf.
    »Nein«, sagte sie, während sie auf die zusammengerollten Scheine in ihrer Hand blickte.
    »Ich hab ihn fallen sehen, Ma’am«, sagte Shadow höflich. »Zählen Sie doch mal nach.«
    Sie zählte das Geld, machte darauf ein verblüfftes Gesicht und sagte: »Gott, Sie haben Recht. Entschuldigen Sie.« Sie nahm Shadow den Zehndollarschein ab und entfernte sich.
    Easter trat mit ihnen hinaus auf den Bürgersteig. Es fing gerade an zu dämmern. Sie nickte Wednesday zu, dann berührte sie Shadow an der Hand und sagte: »Wovon haben Sie letzte Nacht geträumt?«
    »Von Donnervögeln«, sagte er. »Einem Berg von Schädeln.«
    Sie nickte. »Und wissen Sie, wessen Schädel das waren?«
    »Da war eine Stimme zu hören«, sagte er. »In meinem Traum. Sie hat es mir gesagt.«
    Sie nickte und wartete.
    »Sie sagte, es seien meine. Alte Schädel von mir. Tausende und Abertausende.«
    Sie sah Wednesday an und sagte: »Ich glaube, den Jungen können wir nehmen.« Sie zeigte ihr strahlendes Lächeln. Dann tätschelte sie Shadow am Arm, drehte sich um und ging von dannen. Shadow blickte ihr nach und versuchte – allerdings vergeblich –, nicht an ihre Oberschenkel, die beim Gehen aneinander rieben, zu denken.
    Im Taxi auf der Fahrt zum Flughafen sagte Wednesday: »Was zum Teufel sollte diese Geschichte mit den zehn Dollar?«
    »Sie haben die Frau geprellt. Es geht von ihrem Gehalt ab, wenn sie Fehlbeträge aufweist.«
    »Was kümmert Sie das, verdammt noch mal?« Wednesday schien richtiggehend erzürnt zu sein.
    Shadow dachte einen Augenblick lang nach. Dann sagte er: »Tja, ich würde auch nicht wollen, dass das jemand mit mir macht. Sie hatte doch niemandem was getan.«
    »Ach nein?« Wednesdays Blick streunte in die Ferne.
    »Im Alter von sieben Jahren hat sie eine kleine Katze im Schrank eingesperrt. Über mehrere Tage hat sie dem Miauen gelauscht. Als das Miauen aufhörte, hat sie die Katze aus dem Schrank geholt, sie in einen Schuhkarton gelegt und im Garten begraben. Sie hatte den Wunsch, irgendetwas zu begraben. Überall, wo sie arbeitet, stiehlt sie. Meistens kleine Beträge. Letztes Jahr hat sie ihre Großmutter besucht, nachdem man diese in ein Pflegeheim eingewiesen hatte. Sie nahm eine antike Golduhr aus dem Nachttisch der alten Frau, ist anschließend durch mehrere andere Zimmer geschlichen und hat kleinere Geldbeträge und persönliche Besitztümer der ergrauten Leuten an ihrem goldenen Lebensabend gestohlen. Wieder zu Hause, wusste sie nicht, was sie mit ihrer Beute machen sollte, hatte Angst, dass man ihr auf die Schliche kommen würde, und darum alles weggeworfen, mit Ausnahme des Bargelds.«
    »Schon kapiert«, sagte Shadow.
    »Außerdem hat sie eine asymptomatische Gonorrhö«, sagte Wednesday. »Sie vermutet zwar, sich infiziert zu haben, unternimmt aber nichts dagegen. Als ihr letzter Freund ihr vorgeworfen hat, sie hätte ihm was angehängt, war sie schwer beleidigt und hat ihm den Laufpass gegeben.«
    »Es reicht«, sagte Shadow. »Ich sagte doch, ich hab’s kapiert. Das könnten Sie wohl mit jedem machen, was? Schlimme Sachen über ihn erzählen.«
    »Natürlich«, sagte Wednesday. »Sie machen alle das Gleiche. Sie mögen sich einbilden, dass ihre Sünden originell sind, aber überwiegend sind sie kleinkariert und eintönig.«
    »Und das berechtigt Sie, ihr zehn Dollar vorzuenthalten?«
    Wednesday zahlte das Taxi. Die beiden Männer betraten den Flughafen und gingen zu ihrem Schalter.

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