American Gods
Landstraße, die sich östlich der Stadt an die Hügel schmiegte. Die Hügel waren alle mit laublosen Ahornbäumen, knochenweißen Birken, dunklen Tannen und Kiefern bedeckt.
Zwischenzeitlich gesellte sich eine kleine, dunkle Katze zu ihm und hielt neben der Straße Schritt. Ihr Fell war schmutzfarben, die Vorderpfoten aber waren weiß. Er ging auf sie zu. Sie lief nicht weg.
»Hallo, Katze«, sagte Shadow unbefangen.
Die Katze legte den Kopf zur Seite und sah ihn mit Smaragdaugen an. Dann fauchte sie – was aber nicht ihm galt, sondern irgendeinem Ding auf der anderen Seite der Straße, etwas, das er nicht sehen konnte.
»Ganz ruhig«, sagte Shadow. Die Katze stolzierte über die Straße davon und verschwand in einem Feld mit altem, nicht abgeerntetem Mais.
Hinter der nächsten Wegkrümmung stieß Shadow auf einen winzigen Friedhof. Die Grabsteine waren verwittert, an einigen lehnten jedoch frische Blumensträuße. Es gab weder Mauer noch Zaun um den Friedhof herum, abgegrenzt wurde er lediglich durch niedrige, von Eis und Alter gebeugte Maulbeerbäume. Shadow stieg über einen Wall aus Eis und Schneematsch, der am Straßenrand aufgeschichtet war. Der Eingang des Friedhofs wurde von zwei steinernen Torpfosten markiert, zwischen denen sich freilich kein Tor befand. Shadow spazierte durch die Pfosten hindurch auf den Friedhof.
Er wanderte zwischen den Gräbern umher und inspizierte die Grabsteine. Es gab keine Inschriften, die später als 1960 datierten. Er wischte den Schnee von einem stabil wirkenden Granitengel und lehnte sich dagegen.
Er holte die Papiertüte aus der Tasche und zog die Pastete heraus. Als er sie aufbrach, stieg feiner Dampf in die winterliche Luft. Riechen tat sie auch sehr gut. Er biß hinein.
Hinter ihm raschelte etwas. Einen Augenblick lang dachte er, es wäre wieder die Katze, doch dann roch er Parfüm und hinter dem Parfüm einen Hauch von Verwesung.
»Bitte, sieh mich nicht an«, sagte sie hinter ihm.
»Hallo, Laura«, sagte Shadow.
Ihre Stimme klang zögerlich, vielleicht, dachte er, sogar etwas ängstlich. »Hallo, Hündchen«, sagte sie.
Er brach ein Stück Pastete ab. »Möchtest du?«, fragte er.
Sie stand jetzt unmittelbar hinter ihm. »Nein«, sagte sie. »Nimm du ruhig. Ich esse so was nicht mehr.«
Er aß seine Pastete. Sie schmeckte gut. »Ich möchte dich ansehen«, sagte er.
»Es wird dir nicht gefallen«, entgegnete sie.
»Bitte?«
Sie trat um den Steinengel herum. Shadow sah sie, diesmal im Tageslicht, an. Einiges war anders, einiges noch wie gewohnt. Ihre Augen hatten sich nicht verändert, ebenso die schiefe Zuversichtlichkeit ihres Lächelns. Und sie war ganz offensichtlich sehr tot. Shadow aß seine Pastete auf. Er erhob sich und schüttelte die Krümel aus der Papiertüte, die er anschließend zusammenfaltete und in die Tasche zurücksteckte.
Die Zeit, die er im Bestattungsinstitut von Cairo verbracht hatte, machte es ihm irgendwie leichter, mit ihrer Anwesenheit klarzukommen. Er wusste allerdings nicht, was er ihr sagen sollte.
Ihre kalte Hand tastete nach seiner, und er drückte sie sanft. Er konnte fühlen, wie ihm das Herz in der Brust schlug. Er hatte Angst, und gerade die Normalität des Augenblicks war es, was ihm Angst machte. Er fühlte sich so wohl an ihrer Seite, dass er für immer dort hätte stehen bleiben mögen.
»Du fehlst mir«, gestand er.
»Ich bin da«, sagte sie.
»Genau dann fehlst du mir am meisten. Wenn du da bist. Wenn du nicht da bist, wenn du nur ein Geist aus der Vergangenheit bist oder ein Traum aus einem anderen Leben, dann ist es leichter.«
Sie drückte seine Finger.
»Also«, sagte er. »Wie ist es, tot zu sein?«
»Schwer«, sagte sie. »Es geht einfach immer weiter.«
Sie legte ihm den Kopf auf die Schulter, und das gab ihm beinahe den Rest. »Wollen wir ein bisschen spazieren gehen?«, sagte er.
»Klar.« Sie lächelte zu ihm herauf, ein nervöses, schiefes Lächeln in einem toten Gesicht.
Sie verließen den kleinen Friedhof und wandten sich Hand in Hand die Straße hinunter, zurück in Richtung Stadt. »Wo bist du gewesen?«, fragte sie.
»Hier«, sagte er. »Die meiste Zeit jedenfalls.«
»Seit Weihnachten«, sagte sie, »hatte ich irgendwie deine Spur verloren. Manchmal wusste ich, wo du warst, ein paar Stunden, ein paar Tage lang. Da warst du überall. Danach bist du mir wieder entglitten.«
»Ich war hier in der Stadt«, sagte er. »Lakeside. Eine gute kleine Stadt.«
»Oh«, sagte sie.
Sie trug
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