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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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am Mittelpunkt.«
    Mr. Town wandte sich ab, beugte sich über den Empfangstresen und griff nach drei Schlüsseln. »Sie sind unten am Ende des Flurs untergebracht«, sagte er. »Hier.«
    Er übergab die Schlüssel an Mr. Nancy und verschwand dann im Schatten des Flurs. Sie hörten, wie eine Zimmertür erst geöffnet und dann wieder zugeknallt wurde.
    Mr. Nancy reichte einen der Schlüssel an Shadow weiter, einen anderen an Tschernibog. »Liegt im Bus vielleicht eine Taschenlampe?«, fragte Shadow.
    »Nein«, sagte Mr. Nancy. »Aber es ist nur Dunkelheit. Vor Dunkelheit müssen Sie sich nicht fürchten.«
    »Tu ich auch nicht«, sagte Shadow. »Ich fürchte mich nur vor den Leuten in der Dunkelheit.«
    »Dunkelheit ist gut«, sagte Tschernibog. Er schien keine Schwierigkeiten zu haben, sich zurechtzufinden, sondern führte sie schnurstracks den finsteren Gang entlang und fand die Schlüssellöcher, ohne lange herumzufummeln. »Ich bin in Zimmer Nummer zehn«, teilte er ihnen mit. Und dann sagte er: »Media. Ich glaube, von der habe ich schon mal gehört. Ist das nicht die Frau, die ihre Kinder umgebracht hat?«
    »Andere Frau«, sagte Mr. Nancy, »gleiches Kaliber.«
    Mr. Nancy war in Zimmer Nummer acht, und Shadow richtete sich gegenüber den beiden in Zimmer Nummer neun ein. Es roch feucht, staubig und verlassen. Ein Bettgestell stand da, mit Matratze, aber ohne Laken. Die Abenddämmerung warf etwas Licht ins Zimmer. Shadow setzte sich auf die Matratze, streifte sich die Schuhe ab und streckte sich lang aus. In den letzten Tagen war er einfach zu viel Auto gefahren.
    Möglicherweise schlief er.
    Er war zu Fuß unterwegs.
    Ein kalter Wind zerrte an seiner Kleidung. Die winzigen Schneeflocken waren kaum mehr als kristalliner Staub, der aufgeregt im Wind herumzuckte.
    Bäume waren zu sehen, so lautlos wie nur zur Winterzeit. Zu beiden Seiten erhoben sich Berge. Es war ein später, winterlich dunkler Nachmittag: Himmel und Schnee hatten die gleiche tiefpurpurne Tönung angenommen. Irgendwo vor ihm – bei diesem Licht waren Entfernungen unmöglich abzuschätzen – flackerten die Flammen eines Feuers, gelb und orange.
    Ein grauer Wolf stapfte vor ihm durch den Schnee.
    Shadow blieb stehen. Auch der Wolf verharrte, drehte sich um und wartete. Eines seiner Augen schimmerte gelblichgrün. Shadow zuckte die Achseln und ging weiter auf die Flammen zu, während der Wolf wieder voranlief.
    Das Feuer brannte in der Mitte eines Hains. Bestimmt einhundert Bäume standen da, Bäume, die in zwei Reihen gepflanzt waren. Irgendwelche Umrisse hingen von den Bäumen. Am Ende der beiden Reihen befand sich ein Gebäude, das ein wenig einem umgekippten Boot ähnelte. Es war aus Holz geschnitten und wimmelte von Holzgeschöpfen, Holzgesichtern – Drachen, Greife, Trolle und Keiler –, alle im flackernden Feuerschein tanzend.
    Die Flammen schlugen so hoch, dass Shadow sich ihnen kaum nähern konnte. Der Wolf trottete um das knisternde Feuer herum.
    Als er auf der anderen Seite wieder hervorkam, war es kein Wolf mehr, sondern ein Mann, der sich auf einen langen Stock stützte.
    »Du bist in Uppsala, in Schweden«, sagte der Mann mit einer Shadow vertrauten rauen Stimme. »Vor ungefähr tausend Jahren.«
    »Wednesday?«, sagte Shadow.
    Der Mann redete weiter, als wäre Shadow gar nicht anwesend. »Zuerst jedes Jahr, später dann, als der Verfall einsetzte und sie lax wurden, alle neun Jahre, wurde hier geopfert. Ein Neuneropfer. Jeden Tag, neun Tage lang, wurden neun Tiere an die Bäume des Hains gehängt. Eines dieser Tiere war immer ein Mensch.«
    Er entfernte sich mit großen Schritten vom Feuerschein auf die Bäume zu, und Shadow folgte ihm. Aus der Nähe erschlossen sich die von den Bäumen hängenden Umrisse: Beine und Augen und Zungen und Köpfe. Shadow schüttelte den Kopf: Es hatte etwas düster Trauriges, einen Bullen am Halse aufgeknüpft von einem Baum hängen zu sehen; gleichzeitig war es surreal genug, um einen beinahe zum Lachen zu reizen. Shadow ging an einem hängenden Hirsch vorbei, an einem Wolfshund, einem Braunbären und einem kastanienbraunen Pferd mit weißer Mähne, das wenig größer als ein Pony war. Der Hund lebte noch, alle paar Sekunden schlug er krampfartig aus und gab ein angestrengtes Winseln von sich.
    Der Mann, dem er folgte, nahm seinen langen Stock, der in Wirklichkeit ein Speer war, wie Shadow jetzt, wo er sich bewegte, erkannte, und schlitzte den Bauch des Hundes mit einem einzigen, wie mit dem Messer

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