American Gods
»Keine Angst«, versicherte er ihm düster. »Niemand wird Sie töten. Niemand außer mir.«
Shadow fand den Mittelpunkt Amerikas am Abend desselben Tages, noch bevor es ganz dunkel wurde. Der Punkt lag an einem sanften Hang nordwestlich von Lebanon. Shadow fuhr um den kleinen Park herum, an der winzigen Kapelle und dem steinernen Monument vorbei, aber dann, als er das einstöckige Fünfzigerjahre-Motel am Rande des Parks erblickte, wurde ihm auf einmal klamm ums Herz. Ein großer, schwarz lackierter Militärgeländewagen stand davor – er sah wie ein Jeep im Zerrspiegel aus, so gedrungen, sinnlos und hässlich wie ein Panzerwagen. In dem Gebäude brannten keine Lichter.
Sie parkten neben dem Motel, und im selben Moment trat ein Mann in Chauffeursuniform und – mütze aus dem Motel und wurde von den Scheinwerfern des Busses erfasst. Er legte höflich grüßend die Hand an die Mütze, stieg in den Geländewagen und fuhr davon.
»Großes Auto, kleiner Schwanz«, sagte Mr. Nancy.
»Glauben Sie, dass es hier überhaupt Betten gibt?«, fragte Shadow. »Ich hab schon seit Tagen nicht mehr in einem Bett geschlafen. Aber die Bude hier sieht mir so aus, als würde sie nur darauf warten, abgerissen zu werden.«
»Sie gehört Jägern aus Texas«, sagte Mr. Nancy. »Die kommen einmal im Jahr hier rauf. Fragen Sie mich nicht, was die hier jagen. Jedenfalls reicht das, damit der Ort nicht gänzlich verdammt und zerstört wird.«
Sie stiegen aus dem Bus. Vor dem Motel wurden sie von einer Frau erwartet, die Shadow nicht kannte. Sie war perfekt geschminkt, perfekt frisiert. Sie erinnerte ihn an all die Nachrichtensprecherinnen aus dem Frühstücksfernsehen, die immer in einem Studio herumsaßen, das vergeblich den Eindruck eines Wohnzimmers zu vermitteln versucht.
»Reizend, Sie zu sehen«, sagte sie. »Also, Sie müssen Tschernibog sein. Ich habe viel von Ihnen gehört. Und Sie sind Anansi, immer den Schalk im Nacken, wie? Und Sie, Sie müssen Shadow sein. Sie haben uns ja wirklich eine fröhliche Jagd beschert, nicht wahr?« Sie ergriff seine Hand, drückte sie fest und sah ihm dabei in die Augen. »Ich bin Media. Schön, Sie kennen zu lernen. Ich hoffe, wir können das, was heute Abend zu erledigen ist, so angenehm wie möglich hinter uns bringen.«
Die Eingangstür öffnete sich. »Irgendwie kann ich nicht glauben, Toto«, sagte der dicke Junge, den Shadow zuletzt in einer Stretchlimo gesehen hatte, »dass wir noch in Kansas sind.«
»Wir sind aber in Kansas«, sagte Mr. Nancy. »Obwohl wir es heute fast ganz durchquert haben müssen. Verdammt noch mal, ist das eine flache Gegend.«
»Der Schuppen hier hat kein Licht, keinen Strom und kein heißes Wasser«, sagte der dicke Junge. »Und nichts für ungut, aber ihr Leute brauchtet dringend heißes Wasser. Ihr riecht, als wärt ihr seit einer Woche nicht aus dem Bus da herausgekommen.«
»Ich glaube, es besteht überhaupt keine Veranlassung für so was«, sagte die Frau glattzüngig. »Hier sind wir alle Freunde. Kommt doch rein. Wir zeigen Ihnen Ihre Zimmer. Wir haben die ersten vier Zimmer genommen. Ihr verstorbener Freund liegt im fünften. Alle Zimmer hinter dem fünften sind leer – Sie haben die freie Auswahl. Ich fürchte, wir sind hier nicht im Vier Jahreszeiten, aber wo ist man das schon, außer vielleicht im Vier Jahreszeiten?«
Sie hielt ihnen die Tür zum Empfang auf. Es roch nach Schimmel, nach Feuchtigkeit, Staub und Verfall.
Ein Mann saß fast ganz im Dunkeln im Empfangsraum. »Seid ihr hungrig, Leute?«
»Ich kann immer was verdrücken«, sagte Mr. Nancy.
»Fahrer ist los, eine große Tüte Hamburger zu besorgen«, sagte der Mann. »Wird bald zurück sein.« Er hob den Kopf. Es war eigentlich zu dunkel, um Gesichter erkennen zu können, aber er sagte: »Eh, Langer. Sie sind Shadow, wie? Das Arschloch, das Woody und Stone umgebracht hat.«
»Nein«, sagte Shadow. »Das war jemand anders. Aber ich weiß, wer Sie sind.« Immerhin hatte er sich schon mal im Kopf des Mannes befunden. »Sie sind Town. Haben Sie inzwischen schon mit Woods Frau geschlafen?«
Mr. Town fiel vom Stuhl. In einem Kinofilm hätte das komisch gewirkt, im richtigen Leben sah es einfach nur ungeschickt aus. Er war schnell wieder aufgestanden und kam auf Shadow zu. Shadow sah ihn von oben an und sagte: »Fangen Sie nichts an, was Sie nicht auch zu Ende bringen wollen.«
Mr. Nancy legte Shadow eine Hand auf den Oberarm. »Waffenpause, denken Sie dran«, sagte er. »Wir sind
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