American Gods
aus, drückte sie gegen die Seitenwände und lehnte sich zurück. Das Badezimmer war klein. Die Wanne war aus Metall, das Email fleckig und zerkratzt.
Ein alter Mann schob sich in sein Gesichtsfeld. Er sah besorgt aus.
»Geht’s besser?«, fragte Hinzelmann. »Bleiben Sie einfach liegen und entspannen Sie sich. Ich hab die Hütte schön aufgeheizt. Sie sagen mir Bescheid, wenn Sie so weit sind, ich habe einen Bademantel, den Sie anziehen können. Ihre Jeans werfe ich zusammen mit den anderen Sachen in den Trockner. Klingt das gut, Mike?«
»So heiße ich nicht.«
»Wenn Sie’s sagen.« Unbehagen machte sich auf dem koboldhaften Gesicht des alten Mannes breit.
Shadow hatte kein rechtes Zeitgefühl: Er blieb in der Badewanne liegen, bis das Brennen aufhörte und Finger und Zehen sich ohne Schmerzen biegen ließen. Hinzelmann half Shadow beim Aufstehen und ließ das warme Wasser ab. Shadow setzte sich auf den Wannenrand, dann zogen sie ihm gemeinsam die Jeans aus.
Ohne größere Probleme zwängte er sich in einen Frotteebademantel, der ihm zu klein war, ging, auf den Alten gestützt, ins Wohnzimmer der Hütte und ließ sich auf ein altes Sofa sinken. Er war müde und schlapp: zutiefst erschöpft, aber am Leben. Im Kamin brannte ein Holzfeuer. Eine Hand voll überrascht dreinschauender Hirschköpfe verstaubte ringsum an den Wänden, wo sie sich zwischen mehrere große, mit Lack überzogene Fische drängen mussten.
Hinzelmann entfernte sich mit Shadows Jeans, gleich darauf setzte im Zimmer nebenan das Rattern des Wäschetrockners kurz aus, dann nahm er seine Tätigkeit wieder auf. Der Alte kehrte mit einem dampfenden Becher zurück.
»Das ist Kaffee«, sagte er, »also ein Stimulans. Ich hab zusätzlich einen Schuss Schnaps reingekippt. Nur ganz wenig. Das haben wir früher immer so gemacht, auch wenn Ärzte heutzutage nicht dazu raten.«
Shadow nahm den Kaffee mit beiden Händen entgegen. Auf dem Becher war eine Mücke abgebildet und dazu die Botschaft: SPENDEN SIE BLUT – BESUCHEN SIE WISCONSIN!!
»Danke«, sagte er.
»Dazu sind Freunde da«, sagte Hinzelmann. »Eines Tages werden vielleicht Sie mir das Leben retten können. Einstweilen aber lassen Sie’s gut sein.«
Shadow schlürfte den Kaffee. »Ich dachte, ich wäre tot.«
»Sie haben Glück gehabt. Ich war oben auf der Brücke – ich hatte mir mehr oder weniger ausgerechnet, dass heute der große Tag sein würde, in meinem Alter kriegt man da ein Gefühl dafür – und da stehe ich also mit meiner alten Taschenuhr und sehe, wie Sie raus auf den See laufen. Ich hab gerufen, aber es ist kaum anzunehmen, dass Sie mich haben hören können. Dann seh ich, wie der Wagen untergeht und Sie gleich mit, und da dachte ich, dass wir Sie nicht mehr wiedersehen werden, also bin ich rauf aufs Eis. Mir ist dabei ganz anders geworden. Sie müssen fast zwei Minuten unter Wasser gewesen sein. Plötzlich seh ich Ihre Hand aus dem Loch kommen, das der Wagen beim Untergehen gemacht hat – es war, als wenn man einen Geist erblickt, wie Sie da …« Er ließ den Satz in der Schwebe. »Wir haben beide verdammtes Glück gehabt, dass das Eis nicht eingebrochen ist, als ich Sie ans Ufer gezogen habe.«
Shadow nickte.
»Das haben Sie gut gemacht«, sagte er zu Hinzelmann, und der Alte strahlte übers ganze Koboldgesicht.
Irgendwo im Haus hörte Shadow eine Tür zugehen. Er schlürfte weiter seinen Kaffee.
Jetzt, wo er wieder klar denken konnte, begann er sich einige Fragen zu stellen.
Zum Beispiel fragte er sich, wie ein alter Mann, der nur halb so groß und vielleicht grade mal ein Drittel so schwer war wie er, imstande sein sollte, ihn in bewusstlosem Zustand übers Eis zu schleifen oder ihn die Böschung hinauf zum Auto zu schleppen. Er fragte sich, wie Hinzelmann ihn ins Haus und in die Badewanne gekriegt hatte.
Hinzelmann ging zum Kaminfeuer, nahm die Zange und platzierte sorgsam ein dünnes Holzscheit auf die Flammen.
»Möchten Sie wissen, warum ich draußen auf dem Eis war?«
Hinzelmann zuckte die Achseln. »Das geht mich nichts an.«
»Wissen Sie, was ich nicht verstehe …«, sagte Shadow. Er hielt inne, um noch einmal seine Gedanken zu ordnen. »Ich verstehe nicht, warum Sie mir das Leben gerettet haben.«
»Nun«, sagte Hinzelmann, »so bin ich eben erzogen worden. Wenn man sieht, dass ein Mitmensch in Schwierigkeiten ist …«
»Nein«, sagte Shadow. »So meinte ich das nicht. Ich mein, Sie haben doch alle diese Kinder umgebracht. Jeden Winter eins.
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