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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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alten Pferdehaarsofa Platz zu nehmen; dabei scheuchten sie eine bejahrte graue Katze auf, die sich daraufhin streckte, aufstand und auf steifen Beinen in entlegenere Gefilde des Sofas stakste, wo sie sich niederließ, die Eindringlinge noch einmal misstrauisch musterte, dann ein Auge schloss und schließlich weiterschlief. Tschernibog setzte sich ihnen gegenüber auf einen Sessel.
    Sarja Utrennjaja stöberte einen leeren Aschenbecher auf und stellte ihn neben Tschernibog. »Wie möchten Sie Ihren Kaffee?«, fragte sie die Gäste. »Wir trinken ihn schwarz wie die Nacht und süß wie die Sünde.«
    »Das klingt ausgezeichnet, Ma’am«, sagte Shadow. Er warf durch das Fenster einen Blick auf das Gebäude gegenüber.
    Sarja Utrennjaja ging hinaus. Tschernibog sah ihr wortlos hinterher. »Das ist eine gute Frau«, sagte er dann. »Nicht wie ihre Schwestern. Die eine ist eine Harpyie, die andere schläft den ganzen Tag.« Er legte die Füße mitsamt den Pantoffeln auf den langen, niedrigen Couchtisch, der die Spuren von Zigarettenasche und Kaffeebechern trug und in dessen Mitte ein Schachbrett eingelassen war.
    »Ist sie Ihre Frau?«, fragte Shadow.
    »Sie ist die Frau von niemandem.« Der alte Mann saß für eine Weile still da und besah sich seine rauen Hände. »Nein. Wir sind alle miteinander verwandt. Wir sind zusammen hier rübergekommen, vor langer Zeit.«
    Aus der Tasche seines Bademantels zog Tschernibog eine Packung filterloser Zigaretten. Wednesday hielt ein schmales goldenes Feuerzeug parat, mit dem er dem alten Mann die Zigarette anzündete. »Zuerst sind wir nach New York gegangen«, sagte Tschernibog. »Alle unsere Landsleute sind nach New York. Dann sind wir hier rausgekommen, nach Chicago. Hat sich alles sehr verschlechtert. Selbst in der alten Heimat hat man mich fast vergessen. Hier bin ich nur noch ein böses Gerücht. Wissen Sie, was ich gemacht habe, als ich nach Chicago kam?«
    »Nein«, sagte Shadow.
    »Hab einen Job im Fleischgewerbe angenommen. Im Schlachthof. Wenn der Ochse die Rampe hochkommt, war ich einer der Hauer. Wissen Sie, warum wir Hauer heißen? Weil wir den Vorschlaghammer nehmen und die Kuh damit umhauen . Wumm! Dazu braucht man Kraft in den Armen. Ja? Dann kommt das Rind an die Kette, wird hochgezogen, und schließlich schneidet man ihm die Kehle durch. Man lässt erst das Blut auslaufen, bevor man den Kopf abschneidet. Wir waren die Kräftigsten, wir Hauer.« Er schob den Ärmel des Bademantels hoch und spannte den Oberarm an, um die Muskeln zu zeigen, die unter der alten Haut immer noch sichtbar waren. »Kommt aber nicht nur auf Kraft an. War auch Kunst dabei. Wie man schlägt. Sonst ist die Kuh nur betäubt oder wird wütend. In den Fünfzigern ist dann das Bolzengewehr eingeführt worden. Das hält man an die Stirn und Bumm! Bumm! So kann doch jeder töten, denken Sie jetzt vielleicht. Stimmt aber nicht.« Er stellte pantomimisch dar, wie man einen Metallbolzen durch einen Kuhkopf jagte. »Braucht immer noch Geschick.« Er lächelte nostalgisch, wobei ein eisenfarbener Zahn zum Vorschein kam.
    »Erzähl ihnen keine Geschichten vom Küheabmurksen.« Sarja Utrennjaja trug den Kaffee auf einem roten Holztablett herein, in kleinen hellen Emailletassen. Sie reichte jedem eine Tasse, dann setzte sie sich neben Tschernibog.
    »Sarja Wetschernjaja ist einkaufen gegangen«, sagte sie. »Sie wird bald wieder da sein.«
    »Wir haben sie unten getroffen«, sagte Shadow. »Sie hat erzählt, dass sie wahrsagt.«
    »Ja«, sagte ihre Schwester. »In der Dämmerung, das ist die Zeit für Lügen. Ich kann nicht gut Lügen erzählen, deshalb bin ich eine schlechte Wahrsagerin. Und unsere Schwester Sarja Polunotschnaja kann überhaupt nicht lügen.«
    Der Kaffee war noch süßer und stärker, als Shadow erwartet hatte.
    Shadow entschuldigte sich und suchte die Toilette auf – ein schrankartiger Raum, in dem mehrere braunfleckige gerahmte Fotografien von Männern und Frauen in steifer viktorianischer Haltung hingen. Es war früher Nachmittag, aber das Tageslicht begann schon zu schwinden. Vom anderen Ende des Flurs hörte er erhobene Stimmen. Er wusch sich die Hände in eiskaltem Wasser mit einem übel riechenden Stück rosa Seife.
    Tschernibog stand im Flur, als Shadow heraustrat.
    »Du bringst Ärger!«, rief er gerade. »Nichts als Ärger! Ich will nichts hören! Du wirst aus meinem Haus verschwinden!«
    Wednesday saß noch auf dem Sofa, schlürfte seinen Kaffee und streichelte die graue Katze.

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