American Gods
persönlichen – gleichsam nachbarschaftlichen – Service zu bekommen, und zwar von jemandem, der eine Berufung für diesen Beruf verspürt. In Zeiten, da man einen großen Verlust erlitten hat, erwartet man persönliche Betreuung für sich und seine Lieben. Man legt Wert darauf, dass die Trauer nicht auf landesweiter, sondern auf lokaler Ebene stattfindet. Dennoch ist es in allen Industriezweigen so – und der Tod ist eine Industrie, mein junger Freund, geben Sie sich darüber keiner Täuschung hin –, dass man sein Geld damit verdient, großflächig zu operieren, in großen Mengen einzukaufen, seinen Betrieb zu zentralisieren. Es ist nicht schön, aber wahr. Das Problem ist nur: Niemand möchte wissen, dass seine Lieben in einem Kühlwagen zu einem großen, alten ehemaligen Lagerhaus transportiert werden, wo man vielleicht mit zwanzig, fünfzig, einhundert Leichen gleichzeitig hantiert. Nein, mein Herr. Die guten Leutchen möchten gern glauben, dass sie sich einem Familienunternehmen anvertrauen, wo sie von jemandem mit Respekt behandelt werden, der seinen Hut lüftet, wenn er einem auf der Straße begegnet.«
Mr. Ibis trug einen Hut. Es war ein nüchterner brauner Hut, der zu seinem nüchternen braunen Anzug und seinem nüchternen braunen Gesicht passte. Die kleine Goldrandbrille saß auf der Nase. In Shadows Erinnerung war Mr. Ibis ein kleiner Mann, wann immer er aber neben ihm stand, musste Shadow zur Kenntnis nehmen, dass jener gut und gern eins neunzig maß, wenn auch in kranichartiger gebeugter Haltung. Im Augenblick aber, wo er ihm an dem glänzend roten Tisch gegenübersaß, ertappte Shadow sich dabei, dass er dem Mann ins Gesicht starrte.
»Wenn also die großen Konzerne einsteigen, kaufen sie den Namen der Firma, sie bezahlen den Bestattungsunternehmer, damit er weitermacht und sie dadurch den Eindruck von Vielfalt herstellen können. Aber das ist nur die Spitze des Grabsteines. In Wirklichkeit sind sie lokal so verwurzelt wie Burger King. Wir aber sind, wofür wir unsere guten Gründe haben, wirklich unabhängig. Wir erledigen das Einbalsamieren selbst, und es ist das beste seiner Art im ganzen Land, obwohl das niemandem außer uns selbst bekannt ist. Wir bieten allerdings keine Einäscherungen an. Wir könnten zwar einen größeren Umsatz erzielen, wenn wir ein eigenes Krematorium besäßen, aber das würde nicht dem entsprechen, was wir können. Wie mein Geschäftspartner so schön sagt: Wenn der Herr dir ein Talent oder eine besondere Fähigkeit verliehen hat, dann bist du dazu verpflichtet, das so gut zu nutzen, wie du kannst. Würden Sie dem nicht auch beipflichten?«
»Klingt vernünftig«, sagte Shadow.
»Der Herr gab meinem Geschäftspartner Macht über die Toten, genau wie er mir Macht über die Worte verliehen hat. Worte, eine feine Sache. Ich schreibe nämlich Geschichtenbücher. Nichts Literarisches. Nur etwas zur eigenen Unterhaltung. Lebensberichte.« Er machte eine Pause. Bis Shadow begriffen hatte, dass er hätte fragen sollen, ob er einmal etwas davon lesen dürfe, war der Moment verstrichen. »Einerlei, was wir hier bereitstellen, ist Kontinuität: Seit fast zweihundert Jahren gibt es das Unternehmen Ibis und Jacquel. Die Bezeichnung Bestattungsinstitut ist allerdings noch nicht so alt. Vorher hieß es Leichenbestatter, und davor Totengräber.«
»Und davor?«
»Nun ja«, sagte Mr. Ibis und lächelte ein klein bisschen selbstgefällig, »wir reichen wirklich lange zurück. Natürlich geschah es nicht vor Ende des Bürgerkriegs, dass wir hier unsere kleine Nische fanden. Damals wurden wir die Bestatter für die Farbigen in dieser Gegend. Vorher hatte uns niemand als farbig angesehen – als fremd vielleicht, exotisch und dunkel, aber nicht als farbig. Als dann schließlich der Krieg zu Ende war, konnte sich jedoch schon bald niemand mehr daran erinnern, dass es mal Zeiten gegeben hatte, als wir nicht für schwarz angesehen wurden. Mein Geschäftspartner, der hatte schon immer eine dunklere Haut als ich. Es war ein leichter Übergang. Meistenteils ist man doch das, für was einen die anderen halten. Es ist nur seltsam, wenn immer von Afroamerikanern gesprochen wird. Da muss ich an die Leute aus Punt, Ophir, Nubien denken. Wir haben uns nie als Afrikaner begriffen – wir waren das Volk vom Nil.«
»Sie waren also Ägypter«, sagte Shadow.
Mr. Ibis schob die Unterlippe nach oben und ließ dann den Kopf, als würde dieser auf einer Sprungfeder sitzen, von einer Seite zur anderen
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