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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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brüllen, zu raufen und zu spucken, und vor allem lernten sie, ihre Wut und andere Emotionen besser zu beherrschen.
    Oft waren es die Frauen, die, wie Carol, auf dem Dorf die Fahne der städtischen Kultur hochhielten. Irgendwann einmal sah ich in einem Heimatmuseum das Kleid, das eine der Urgroßmütter während des sogenannten Oklahoma Land Run am 22. April 1889 getragen hatte. Dabei handelte es sich um einen wahnsinnigen Wettlauf, an dem etwa fünftausend Siedler teilnahmen und bei dem es darum ging, in dem unerschlossenen Territorium das beste Stück Land in Besitz zu nehmen. Ich war tief beeindruckt. Die Dame – sie hieß J. B. Cobbs – hatte bei dem Rennen ihre besten Sachen getragen: ein langes schwarzes Kleid mit dunkelgrauen Punkten und schwarz-grau kariertem Kragen, schlicht, aber überaus elegant. Zivilisation.
    Phil Graham, später der große Mann hinter der Washington Post , wuchs auf einem Wohnboot in den Sümpfen der Everglades auf. Selbst unter den widrigsten Umständen behielt seine Mutter, eine ehemalige Lehrerin, ihr Abonnement des New Yorker und der Time . Steinbecks Mutter, Olive Hamilton, war aus demselben Holz geschnitzt. Sie unterrichtete, engagierte sich im sozialen Bereich und schuf zu Hause eine Atmosphäre, in der Gedichte vorgetragen, Bücher gelesen, Klassikschallplatten gehört und Geschichten erzählt wurden.
    Der Einfluss von vor allem älteren Damen in den kleinstädtischen Gesellschaften wurde mit fortschreitendem 20. Jahrhundert immer größer. »Dies ist ein sehr ungewöhnliches soziales Phänomen«, schrieb Geoffrey Gorer in seiner Studie über die Amerikaner der vierziger und fünfziger Jahre. In fast allen Gesellschaften, ob primitiv oder komplex, europäisch oder asiatisch, spielten ältere verheiratete Frauen, die nicht berufstätig seien, kaum eine Rolle im öffentlichen Leben. Ihr Reich sei der Haushalt. In Amerika jedoch bilde diese Gruppe einen der aktivsten und einflussreichsten Teile des Bürgertums, die sich darüber hinaus am stärksten hervortat.
    »Amerikanische Frauen erreichen den Höhepunkt ihres sozialen Einflusses, sobald sie sich dem Klimakterium zu nähern beginnen«, schreibt Gorer. Man solle diese Damen in reiferem Alter »mit ihrer unermüdlichen Sucht nach Wissen und Weisheit, ihrem hartnäckigen Festhalten an stilvollem Benehmen und jugendlicher Erscheinung, ihrem naiven Verhältnis zu Kunst und Lebenskultur […], ihrer Fassade von geradezu übertriebener Selbstsicherheit, die oft nur eine Schutzwand für tiefste Unsicherheit und Bescheidenheit ist«, auf keinen Fall auslachen, warnte er.
    Sie sorgten für Kultur und Geld, und wenn lokale Missstände angepackt würden, dann gehe die Initiative in vielen Fällen von den women’s clubs aus. Sie seien »unser stärkstes Bollwerk gegen das Chaos«.
    Madame Bovary in Flauberts Roman nahm Arsen. Auch Carol gerät in eine Sackgasse im säuerlichen Provinzialismus von Gopher Prairie. Sie flieht nach Washington, D.C., kehrt aber schließlich zurück zu Mann und Kind und akzeptiert ihr Schicksal. Dennoch bleibt sie bis zur letzten Seite kämpferisch: »Ich gebe nicht zu, daß die Main Street so schön ist, wie sie sein sollte! Ich gebe nicht zu, daß Gopher Prairie großartiger oder nobler ist als Europa! Ich gebe nicht zu, daß Geschirrspülen ausreicht, um eine Frau zufriedenzustellen! Ich habe den Kampf für das Gute vielleicht nicht bis zum Ende ausgefochten, aber ich hab’ mir den Glauben daran bewahrt.«
    Zwanzig Jahre später, als John Gunther nach Sauk Centre kam, wäre sie wahrscheinlich doch noch zu einer dieser resoluten amerikanischen Damen geworden – mit mehr informeller Macht und größerem Einfluss, als sie es sich je hätte vorstellen können. Gunther bemerkte im Laufe der vierziger Jahre einige Veränderungen. Auf der Main Street sah er sechzehnjährige Mädchen in kurzen Hosen. Die Bar von Palmer House, früher einmal eine reine Männerdomäne, stand nun allen offen, Jung und Alt, Mann und Frau. Die männliche Geselligkeit innerhalb der Mauern von Logen und Vereinen war aufgebrochen und durch Kinobesuche, Fahrten ins Blaue, Essen und andere Aktivitäten ersetzt worden, an denen Frauen ebenso teilnahmen.
    Schon damals gab es Entwicklungen, die Gunther Sorgen bereiteten. Durch das Auto und die Ladenketten habe sich Sauk Centre »von einem Dorf in eine Metropolis« verwandelt. Allerdings würden die Geschäfte der Ketten nie Teil der städtischen Gemeinschaft werden, fürchtete Gunther. Der

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