Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
unternehmen. Kellner, Tankwarte, Hotelangestellte, ja sogar die Zöllner an den Grenzübergängen bekamen glänzende Augen, wenn ich ihnen von unserem Projekt, unserer Reise, unserem Jeep erzählte.
»Was kostet eigentlich eine Gallone Benzin in Maine?«, fragte ein junger Mann an einer Tankstelle in North Dakota. »Ach, ihr kommt aus Amsterdam. Schweden! Und wie viel kostet der Sprit dort? Das ist nicht dein Ernst! Dann habt ihr ein großes Problem!«
Und auch hier äußert sich der Mann an der Kasse ähnlich: »Junge! Ich selbst war nur ein einziges Mal jenseits des Mississippi, als ich beim Militär war. Ja, so ist das Leben …«
Auf der anderen Seite der Berge haben die Bäume noch Blätter, leuchtend rot, gelb, grün. In Idaho und Washington ist es wieder Herbst. Wir verbringen eine Nacht in Spokane. Steinbeck hatte dort in aller Eile bei einem Tierarzt vorgesprochen, weil Charley plötzlich krank geworden war. Wir spazieren auf einem Wanderweg am Fluss auf und ab. Dort gibt es rustikale Sitzgelegenheiten und ein wenig Grün, doch das ändert nichts an der großen Trauer, die diese Stadt ausstrahlt: Alles Leben wurde von den Shopping Malls und Suburbs am Stadtrand aus dem Zentrum gesogen. Die Buchhandlung hat diesen Angriff ebenfalls nicht überlebt, auch hier sind die Schaufenster dunkel und leer.
Am nächsten Tag regnet es. Die Landschaft hat etwas beinahe Mütterliches; die grasigen Rundungen müssen im Frühling genauso liebreizend aussehen wie eine Teletubbies-Landschaft. Steinbeck hatte andere Assoziationen. Er nahm die ersten Gerüche des Großen Ozeans wahr, des Ozeans seiner Jugend, und er war nicht mehr zu halten. Er sei kaum merklich gewesen, schreibt er, der ferne Geruch von Felsen, Tang und schäumenden Wellen, doch er habe ihn in »eine Art wilde, ungestüme Freude« versetzt. »Ich stürmte über die Straßen Washingtons, dem Meer entgegen mit derselben Hingabe wie ein wandernder Lemming.« Und er hatte noch einen anderen Grund, zügig weiterzufahren: Er wollte rechtzeitig in Seattle ankommen, weil er dort Elaine wiedertreffen würde.
Wenn Steinbeck seinen ursprünglichen Plan, das Land zu beschreiben, ein wenig ernsthafter verfolgt hätte, dann hätte er bestimmt den surrealistischen Landschaften, an denen er hier und dort vorüberkam, einen Abschnitt gewidmet: den ausgewaschenen Ufern und dem verkrusteten Boden eines Binnensees, der schon vor Jahrtausenden verschwunden ist; den ausgetrockneten Wasserfällen so mächtig wie die Niagarafälle, Reste einer der größten Fluten, die die Erde je heimgesucht hat. Und bestimmt hätte er sich auch ein paar Stunden Zeit genommen, um sich den Grand-Coulee-Damm anzusehen, der zusammen mit dem Hoover-Damm die berühmteste Staumauer der Vereinigten Staaten, das größte Wasserkraftwerk des Landes und ein Vorzeigeprojekt von Franklin D. Roosevelts New Deal ist.
Nach seiner Fertigstellung im Jahr 1941 war der Damm mit einer Länge von einer Meile die größte Staumauer der Welt. Er war Teil eines riesigen Bewässerungsprojekts, und gleichzeitig erzeugten die Turbinen des Kraftwerks unvorstellbare Mengen an Strom. Der Grand-Coulee-Damm speiste während des Zweiten Weltkriegs die Aluminiumschmelzen für die Flugzeugindustrie und die Schiffswerften, aber auch die Plutoniumproduktion für das streng geheime Manhattanprojekt, das der Entwicklung der ersten Atombombe diente.
Der Damm muss seinerzeit enormen Eindruck gemacht haben: In dieser Gegend herrschte große Armut, und plötzlich wuchs dieses riesige Bauwerk in die Höhe, das sogar die Cheopspyramide überragte, ein Hoffnung gebendes Zeichen aus hellem Beton, umgeben von einer brummenden Gemeinschaft aus Bauarbeitern und Ingenieuren, eine nagelneue Stadt, in der Tausende von Menschen lebten und arbeiteten.
Noch immer ist der Damm ein imposantes Bauwerk, aber der Lack ist ab. Überall hat der Beton Schorf und Ausschlag. In Coulee City stehen noch einige der Hütten, in denen die Arbeiter damals wohnten, aber die meisten Häuser sind aus modernem Kunststoff. Mit Mühe hat man Objekte für ein kleines Museum zusammengetragen. In den Vitrinen liegen ein Bohrhammer und ein paar Messinstrumente. Außerdem kann man sich persönliche Erinnerungen von ehemaligen Bauarbeitern anhören. Zum Beispiel von einem, der später berichtete: »Wenn man mit dem Bohrhammer in der Felswand hing, schien jeder Muskel im Körper mitzuzittern. Nach fünf Minuten fühlte man sich wie ein Milchshake.«
Und dann ist dort der
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