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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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Jahre früher angesteuert hatte. In seinen Augen war das damalige Butte die »ungehobeltste, obszönste Stadt Amerikas«, einer der hässlichsten Orte, die er jemals gesehen hatte. Butte war ein einziges riesiges Bergarbeiterlager, mit Tausenden von Männern unter Tage, jeder Menge Abraumhalden, kaum Grün, schmutzigen Rauchwolken und nachts von großen gelben Lampen hell erleuchtet – die Stadt war stolz darauf, »den einzigen elektrisch beleuchteten Friedhof« der Vereinigten Staaten zu haben.
    Ein Teil von Butte, ein etwa anderthalb Meilen langer und gut eine halbe Meile breiter Streifen, versank damals infolge von Bergschäden immer tiefer im Boden, doch keiner der Hausbesitzer wagte es, die Anaconda Copper Mining Company auf Schadensersatz zu verklagen. Seit vierzig Jahren hatte keine Jury sich getraut, ein Urteil gegen das Unternehmen zu fällen.
    Wir fahren an dem Ort vorüber. Noch immer macht Butte einen recht wüsten Eindruck, doch viel los ist dort nicht mehr. Anaconda ist verschwunden. Noch immer steckt der Boden voller Blei, Kadmium, Zink und Arsen. Die Zahl der Einwohner hat sich praktisch halbiert. Butte ist heute vor allem wegen der Knievel Days ein Begriff, einer Massenversammlung von Motorradfahrern aus der ganzen Welt zum Gedenken an den berühmten Stuntman Evel Knievel, bei der als Höhepunkt fünf Waghalsige zugleich mit dem Motorrad über eine Reihe von Lastwagen springen, während gleichzeitig ein Feuerwerk gezündet wird und eine Blaskapelle » God Bless America « spielt.
    Aber dass die Stadt schwere Zeiten erlebt hat, kann man noch immer sehen. Man erkennt es an der Art von Frauen, denen man auf der Straße und in den Geschäften begegnet: kräftig gebaute Damen, die wissen, was sie wollen, kultiviert und nicht unfreundlich, doch tief in ihren Augen sieht man die Spuren einer knallharten Jugend.
    An den Tankstellen bekommt man jetzt nur noch The Montana Standard . Die Zeitung meldet den Fund eines menschlichen Schädels bei Maney Lake, die Verhaftung eines elfjährigen Jungen wegen des Besitzes von Marihuana und den Beginn der Jagdsaison am kommenden Samstag; » Chance to fill the freezer good in Southwest Montana «. Die Rancher klagen über die Fleischpreise, sie bekommen von den Einkäufern oft nur ein einziges Angebot. Das gesamte Schlachtvieh geht an ein paar große Fleischkonzerne, die alle Fäden in der Hand halten.
    Das ist schon seit Jahren so, doch jetzt verdienen die Rancher so wenig, dass einer nach dem anderen seinen Betrieb aufgibt. Seit 1996 haben etwa elftausend Rancher die Viehzucht an den Nagel gehängt, ein Rückgang von mehr als einem Viertel in vierzehn Jahren. »Es gibt keinen Markt mehr«, sagt ein Rancher, »keine Nachfrage und nur ein einziges Angebot, da ist komplett die Luft raus. Entweder man akzeptiert, was die Konzerne einem bieten, oder man kriegt gar nichts.«
    Jetzt friert es kräftig, das Wetter wird bald umschlagen. Auf den Straßen ist immer weniger los, und es erweist sich als schwierig, irgendwo ein Bett für die Nacht zu finden. Viele Motels sind über den Winter geschlossen, aber eine ganze Menge stehen auch zum Verkauf, das Verhältnis beträgt etwa 50 zu 50. Die Krise ist überall sichtbar: Urlaub ist das Erste, woran die Menschen sparen. Im Saloon des Dörfchens Drummond spielt ein Mann Gitarre. Ein alter Farmer sitzt an der Theke und hört ihm zu. Ansonsten ist der Raum leer. Draußen pfeift ein Zug.
    Wir fahren in die Berge, am nächsten Morgen. Es ist kalt und neblig. Rechts von der Straße liegen viele Meilen lang verbrannte, rußgeschwärzte Wälder. Hier irgendwo hat John Steinbeck übernachtet, in einem einsamen Motel mit angeschlossener Tankstelle, wo er nach eigener Aussage den Streit zwischen dem Besitzer und dessen Sohn schlichtete. Der Vater war ein kerniger amerikanischer Jäger, der Sohn liebte Mode, wollte Damenfriseur werden und las The New Yorker . Steinbeck schlug sich auf seine Seite – meiner Meinung nach ging es in dem Gespräch eigentlich um Homosexualität, aber das war damals noch ein Tabu.
    Kurz vor dem Lookout Pass tanken wir. Sowohl in Die Reise mit Charley als auch in seinen Briefen schrieb Steinbeck, dass er in den Augen der Menschen, die Rosinante betrachteten, »ein brennendes Verlangen« bemerkte, ein »Verlangen, loszuziehen, sich aufzumachen, egal wohin, nur weg«.
    Ein halbes Jahrhundert später ist alles unverändert. Die meisten der Amerikaner, die Arbeit haben, haben kaum Zeit und Gelegenheit, lange Reisen zu

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