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Amerikanische Reise

Titel: Amerikanische Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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Geschichte hinterlassen hat.
    Die Schälchen und Töpfchen sind leer. Kristin stützt |59| einen Arm auf und zwirbelt eine Haarsträhne zwischen Daumen und Mittelfinger. Sie wickelt die Strähne auf den Zeigefinger,
     als wollte sie den Fingernagel erwürgen. Dann verschiebt sie ihre Stäbchen vorsichtig wie bei einer Partie Mikado auf dem
     Teller. Sie trinkt ihren letzten Schluck
Sake.
»Gehen wir?«
    Walter nimmt mißgelaunt seine Brieftasche aus dem Jackett und legt seine Kreditkarte auf den Tisch. Als sie auf die Straße
     treten, zündet er sich als erstes eine Zigarette an.
     
    Sie schlendern durch die Straßen von
East-Village.
Auf dem Bürgersteig sind kleine Biergärtchen mit Zäunen abgegrenzt. Die Betriebsamkeit in der abendlichen Wärme kommt Jan
     südländisch vor, allerdings sind keine Familien unterwegs, keine Bambini, die herumspringen. Die Nacht ist nicht jugendfrei,
     irgendwo lauert die Großstadt mit ihren undurchschaubaren und doch so einfachen Vergnügungsgesetzen:
All I wanna do is have some fun before I die.
Jan spürt die Kneipen, Diskotheken und Clubs, ohne zu wissen, wo sie sind, wo es die Menschen hintreibt und wen die durchtrainierten
     Schultern und Oberarme und die handbreiten Streifen Haut über den zerrissenen Jeans locken sollen. Ein Rummel mit verborgenen
     Geisterbahnen, die Jan im Augenblick nicht fehlen, ihm genügt, was er sieht: Die kleinen, vibrierenden Kundentrauben in den
     schmalen Pizzerien und Chinaimbissen, die gelblich beleuchteten Fassaden mit den Feuerleitern, die Paare, die sich kurz an
     die Straße stellen, winken und schon in ein Taxi einsteigen und abfahren.
    Nach ein paar Straßenzügen betreten sie Kristins Galerie. Menschen mit Champagnergläsern in der Hand stehen auf einem zerfurchten
     Steinfußboden und unterhalten |60| sich. An den rohen Wänden hängen Bilder, dunkle Schwarzweißfotografien, die von an der Decke angebrachten Strahlern beleuchtet
     werden. Bis auf die Sprache bemerkt Jan keinen Unterschied zu vergleichbaren Veranstaltungen in Deutschland. Er hat erwartet,
     daß es in New York etwas flotter zugeht. Statt dessen ist die Stimmung nicht ausgelassen, sondern gedämpft. So, als werde
     eine Kirche besichtigt. Die Champagnergläser werden wie kleine Weihwasserkelche umhergetragen. Die Gespräche sind von einem
     aufgeräumten Ernst und schweben wie Herbstlaub durch den Raum. Die Gesichter machen jedem, der den Raum betritt, unmißverständlich
     deutlich: Es geht nicht um nichts.
    Kristin wird sofort angesprochen. Jan bleibt mit Walter am Eingang stehen. Sie nehmen sich ein Glas Champagner. Walter trinkt
     einen Schluck und dreht das Glas im Schein eines der Spotscheinwerfer. Er würde sich, sagt er, als sei er Jan eine Erklärung
     schuldig, schon intensiver mit den Ausstellungen beschäftigen, wenn er die nötige Zeit dazu hätte. Es sei im Finanzbusiness
     für Nicht-Amerikaner schwer, sich alle Türen zu öffnen. Mit Neil, über den Kristin so gerne schimpfe, habe er großes Glück
     gehabt, durch ihn gehe manches leichter, er bekomme von ihm Informationen, die man ihm sonst nicht ohne weiteres geben würde.
     Trotzdem bleibe kaum Zeit, sich um andere Dinge zu kümmern, und gelegentlich mache er sich Gedanken, ob er Kristin nicht zuviel
     zumute.
    »Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zur Galerie«, sagt er. »Ich gebe zu, daß ich gelegentlich den Verdacht habe, daß es sich
     bei der Organisation von Ausstellungen um eine sehr edle Form des Nichtstuns handelt.«
    Sie schlendern die Bilderfront ab. Walter beschäftigt sich nicht sehr gründlich mit den Arbeiten seines Nachbarn, er |61| betrachtet die Bilder so, wie man ein Journal beim Friseur durchblättert. Jan läßt sich von der herrschenden sakralen Atmosphäre
     anstecken und beginnt, die Fotos abzuschreiten wie einen Kreuzweg, der irgendeiner äußerst bedeutsamen Dramaturgie folgt.
     Die Bilder erschöpfen sich in Andeutungen, sind ein Spiel von Licht und Schatten auf bloßer Haut, ohne daß allzuviel zu erkennen
     wäre, hier eine Armbeuge oder da eine Kniekehle. Viel gönnt Rick dem Betrachter nicht.
    »Ich habe nichts gegen Kunst«, sagt Walter, »aber einen Fuß könnte ich auch fotografieren.«
    »Ich glaube, die Bilder im ganzen sollen so etwas wie ein Puzzle sein«, sagt Jan, der auch nicht begeistert ist. »Hoffentlich
     kommt am Ende wenigstens eine gut aussehende Frau dabei raus«, sagt Walter. »Kunst ist ja heutzutage immer häßlich, weil die
     Künstler Angst

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