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Amerikanische Reise

Titel: Amerikanische Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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haben, man wirft ihnen sonst vor, sie wären kommerziell.«
    »Häßlich finde ich die Bilder eigentlich nicht. Eher neutral«, bemerkt Jan.
    »Wahrscheinlich ist Rick schwul«, sagt Walter.
    Jan weiß nicht, was er von der Bemerkung halten soll. Anstatt daß man sich für ihn, den Gast, interessiert, dreht sich von
     Anfang an alles um eine Geschichte, die er nicht kennt und von der Walter behauptet, sie sei
kein Drama
gewesen.
    Er wendet sich wieder den Bildern zu und überlegt, was Kristin an den Aufnahmen gefallen könnte, vielleicht das Spiel mit
     der Form, weil sie als Mathematikerin etwas übrig hat für Geometrie. Die Bilder reduzieren den erotischen Reiz eines weiblichen
     Körpers auf eine kleine Menge von Grundformen: Geraden, Halbkreise, Dreiecke. Jan ist schon immer der Meinung gewesen, daß
     Mathematiker etwas falsch machen.
    |62| Die Fotos im hinteren Teil des Raumes zeigen ganze Körper, aber statuenhaft und seelenlos, als seien aus dem Alphabet der
     vorderen Bilder probeweise Worte gebildet worden, die aber keine Bedeutung haben. Die düstere Botschaft des Kreuzwegs ist
     das Schweigen. Die Kreuzigung findet nicht statt beziehungsweise entspricht einer Abkühlung unter den Gefrierpunkt. Jan nähert
     sich dem Ende der Bilderfront. Die Parfummodels auf dem Flughafen haben ihm besser gefallen. Walter bleibt vor dem letzten
     Bild stehen, auf dem eine Frau zu sehen ist, die sich mit gespreizten Beinen und mit ausgebreiteten Armen gegen eine schwarze
     Wand stützt wie zur Leibesvisitation, den Kopf so weit nach vorne geneigt, daß er nicht zu sehen ist und es aussieht, als
     wäre er abgeschnitten. Die Schulterblätter zeichnen sich kantig ab. Die Wirbelsäule unter der gespannten Haut ist eine Kette
     aus hingetupften Schatten. Jan sieht Walter an, dann wieder das Bild. Er weiß, daß Walter den Verdacht hat, es könnte Kristin
     sein. Aber so unpersönlich, wie das Bild aufgenommen ist, könnte es jede Frau mit Kristins Figur sein.
    »Jetzt ist sie endgültig durchgedreht«, sagt Walter und starrt das Bild an.
    »Ist sie es denn?« fragt Jan.
    »Natürlich ist sie es«, sagt Walter. »Während ich in der Bank sitze und Geld verdiene, zieht sie sich aus.« Er stellt sich
     vor, wie Rick seine Kamera auf das Stativ schraubt und Kristin ausleuchtet, um die geometrischen Konturen ihrer Schulterblätter,
     die Kette der Wirbelsäule und die Halbmonde des Gesäßes herauszuarbeiten.
    Zwei Ausstellungsgäste gesellen sich neben ihn und betrachten das Bild wie eine Ikone. Sie tauschen gedämpft und mit sachkundigem
     Interesse ein paar Bemerkungen aus. Walter atmet vernehmlich durch. Jan muß an das |63| Schicksal des arbeitsscheuen Sachbearbeiters denken. Es ist klar, daß es jetzt gefährlich wäre, Walter wie vor dem Sandhaufen
     mit den ausgequetschten Zahnpastatuben zu fragen:
What do you feel?
    Die beiden anderen ziehen weiter. Walter bewahrt nur mit Mühe die Ruhe. »Sie macht sich etwas vor.« Sein Haß fließt aus ihm
     heraus, als müsse man eine Talsperre durch einen Wasserhahn leeren. »Kunst! Selbstverwirklichung! Kreativität! Nichts als
     Luxus für die, die versorgt sind. Sie hat mit ihrem ganzen mathematischen Verstand nicht erkannt, daß hier gelangweilte Wohlstandskreaturen
     am Werk sind, mit nichts anderem beschäftigt, als die Zeit möglichst nutzlos und mit maximaler Annehmlichkeit totzuschlagen.
     Frauen nackt vor die Linse kriegen! Den Rest kann man sich denken. Ist ja nur die Muschi eines Idioten, der sich kaputtarbeitet.
     Aber ich werde diesen Kunstwichsern den Gefallen nicht tun, hier ein hysterisches Geschrei anzustimmen. Ich werde den Laden
     nicht auseinandernehmen und mich vor allen zum Narren machen. Die Show werde ich ihnen nicht bieten, daß sie den Abend hinterher
     noch als besonders gelungen verbuchen.« Er macht eine Pause, als müsse er erst wieder begreifen, wo er ist. »Ich verschwinde.«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, arbeitet er sich durch die Menschen mit ihren Champagnergläsern und geht hinaus. Jan bleibt
     vor dem Foto stehen. Er kann Walters Eifersucht verstehen, sie hätte es ihm zumindest sagen können.
    Jan geht ein wenig unschlüssig durch die Galerie und nimmt sich noch ein Glas Champagner. Aus ein paar Metern Entfernung beobachtet
     er Kristin, die sich mit zwei Frauen und einem Mann unterhält und ab und an lächelt und nickt, dann wieder hört sie zu oder
     sagt selbst etwas, |64| was sie mit leicht überhasteten Gesten begleitet. Sie hat einen Fuß

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