Amerikanische Reise
unter Nebel, und |128| seine Konzentration richtete sich ausschließlich darauf, die verhängnisvollen Transaktionen wieder rückgängig zu machen und
Neil – so stellte er es sich vor – die Scheiße wieder zurückzustopfen oder wenigstens alle Geldbewegungen zu löschen, die
auf den Betrug hinwiesen.
Er hat getrunken. Als sich der Sonnenaufgang näherte, wurde ihm klar, daß nichts mehr zu vertuschen war, daß er in ein paar
Stunden als Betrüger dastehen würde. Die Geschichte mit Cindy kehrte zurück. Er fühlte sich im Recht, obwohl bereits mit Unbehagen.
Es wäre ihm jetzt lieber gewesen, er hätte Neil krankenhausreif geschlagen, vielleicht wäre dann die Befriedigung so dauerhaft
gewesen wie vor Jahren, als er seinen Sekretär gedemütigt und anschließend erhobenen Hauptes gekündigt hatte in dem sicheren
Bewußtsein, daß die, denen er seine Kündigung auf den Tisch legte, ihm im Grunde recht gaben. Jetzt dagegen hätte er sich
ohrfeigen können nicht nur für das, was er Cindy – die ihm nun in ihrer Naivität wieder liebenswert erschien – angetan hatte,
sondern er überlegte sich, daß ihn seine Entgleisung in der Auseinandersetzung mit Neil schwächte, weil Neil sich damit auf
den Standpunkt stellen konnte, sie seien quitt.
Er saß ratlos vor dem Monitor und konnte nichts mehr erkennen, weil die Helligkeit der aufgehenden Sonne auf dem Bildschirm
einen milchigen Nebel aufsteigen ließ. Er ging zum Telefon und rief Kristin an, die ihre Nummer auf den Anrufbeantworter gesprochen
hatte, ausgerechnet als er bei Cindy war. Er sah in ihr seine letzte Rettung, obwohl sie irgendwo da draußen war, mehr als
tausend Meilen entfernt. Er begann zu wählen und legte nach wenigen Ziffern wieder auf. Was sollte er ihr sagen? Wieviel sollte
er ihr sagen? Es war nicht möglich, ihr die ganze Geschichte am Telefon zu erzählen. Trotzdem mußte er mit |129| ihr sprechen. Er wollte nur ihre Stimme hören, und er begann wieder, die Nummer zu wählen, diesmal bis zur letzten Ziffer.
Dann war statt Kristin eine unbekannte, verkaterte Männerstimme am anderen Ende. Das verwirrte ihn.
»Das war Hank, ein Deutschlehrer aus Madison, der mit seiner Frau im Nachbarbungalow wohnte«, sagt Jan, der neben Walter an
der Wand lehnt und ebenfalls leise spricht. »Er wollte alles über Deutschland wissen, und wir haben die Nacht durchgemacht.«
Walter geht zum Aschenbecher und drückt seine halbgerauchte Zigarette aus. »Es ist spät«, sagt er und richtet sich wieder
auf. Er bleibt einen Moment stehen. »Danke, daß ihr sofort gekommen seid.«
Jan geht zum ersten Mal alleine durch New York und wundert sich, wie fremd ihm die Stadt ist, jetzt, an einem Montagmorgen.
Die Alltäglichkeit paßt nicht zu seinem Bild von der Stadt. Wo es um Vergnügen, Geld und Sex geht, erwartet man keine Gemüsehändler,
die Salatkisten vor ihren Läden stapeln wie überall.
Vor einer knappen Stunde ist Jan aufgewacht und durch den Flur zum Bad gegangen. Er war froh, daß Kristin und Walter noch
schliefen, und zog sich an. Die Vorstellung, mit den beiden frühstücken zu müssen, war ihm unangenehm, und er legte eine kurze
Notiz auf den Tisch, daß er sich die Stadt ansehe. Er entriegelte die Türschlösser und ging.
Dann die Taxifahrt durch New York am Morgen. Die Sonne fiel horizontal auf die Glasfronten und vervielfältigte sich dort wie
auf einer Wand aus gleichgeschalteten Monitoren. Die Fenster der niedrigeren Häuser wurden von der Sonne nicht erreicht und
erschienen wie die dunklen Felder von kleinen Schachbrettern. Der Taxifahrer war |130| gut gelaunt, erzählte, daß in New York mehr Nationalitäten versammelt seien als in der UN, womit klar war, daß er in Jan sofort
den Touristen erkannt hatte, der nichts wußte von den Besonderheiten der Stadt. Er wußte nicht einmal, wieviel Trinkgeld er
geben sollte. Fünfzehn Prozent Minimum, hatte er gelesen, wenn man nicht unhöflich sein will.
Er stieg aus, das Taxi fuhr weiter, und dann gab es nichts und niemanden mehr, der die nächsten Schritte bestimmte. Jede Richtung
war möglich. Jan kam sich vor wie eine erstmalig von sämtlichen Fäden befreite Marionette. Er hatte sich in die Nähe des japanischen
Restaurants fahren lassen, in dem er mit Walter und Kristin gesessen hatte und dessen Koordinatenpunkt im System der Straßen
ihm in Erinnerung geblieben war. Er schlenderte über den Bürgersteig, vorbei an den Schaufenstern von
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