Amerikanische Reise
Produktionen neueren Datums auf, die in der Tradition der alten Songs standen.
Lediglich die Werbung war auf der Höhe der Zeit, und hin und wieder kam es zu skurrilen Begegnungen, wenn minutenlange Siebziger-Jahre-Gitarrensoli
umrahmt wurden von hektischen Neunziger-Jahre-Werbe-Jingles. Es war, als würde Charles Bronson im
Terminator
auftreten.
Irgendwann wurde das Signal zu schwach, und der Sender und die alten Zeiten versanken im Rauschen des Äthers. Zurück blieben
die Felder und Kristin, die morgens meist Zeitung las, während Jan fuhr und sie gelegentlich ansah wie eine noch fremde, lockende
Landschaft. Sie entwickelte eine hartnäckige Energie, wenn es darum ging, eine
vernünftige
Zeitung zu besorgen, nach Möglichkeit die
New York Times,
die aber kaum zu kriegen war. Sie fragte sich durch wie bei einer Schnitzeljagd und schaffte es tatsächlich jedesmal, an irgendeiner
Raststätte oder in einem winzigen Laden oder einmal auch von Privatleuten ein Exemplar zu ergattern. Jan war erstaunt über
die Hilfsbereitschaft, mit der sie von den Menschen bei ihrer Suche unterstützt wurde. Fast alle hatten ein paar Vorschläge
zu machen, und nicht selten telefonierten sie eine Viertelstunde, um in Erfahrung zu bringen, wo eine
New York Times
zu bekommen sein könnte. Hinterher las Kristin die Zeitung, sie interessierte sich für alles, blätterte von Politik über Wirtschaft
zum Kultur- und Klatschteil und widmete sich sogar den Börsenkursen mit einer Gründlichkeit, die Jan erstaunte. Gelegentlich
hielt sie die Hand beim Lesen schützend über die Augen, weil die Sonne blendete, und vergaß dann ihren Arm minutenlang. Jan
wunderte sich, wie sie das durchhielt. Irgendwann klappte er die Blende herunter.
|178| Die Irritation durch die Zeitverschiebung verlor sich mehr und mehr. In Chicago hatte Jan manchmal noch den Eindruck, als
gehe der Tag nach, als entferne sich die Welt kurzzeitig ein paar Schritte von ihm. Solche Augenblicke wurden seltener und
verflüchtigten sich schließlich. Jan fühlte sich wohl.
Gelegentlich überlegte er, worum es Kristin gehen mochte. Sie neigte nicht dazu, vor Schwierigkeiten davonzulaufen. Eher machte
sie sich das Leben aufgrund der Maßstäbe, die sie sich setzte, schwieriger als nötig. Ob es der Anspruch war, in der mathematischen
Forschung Beachtliches zutage zu fördern, oder ihr Wunsch, in der Versicherungsbranche nicht nur knifflige Rechenprobleme
zu lösen, oder jetzt der Versuch, eine Fotogalerie zu etablieren, die wirtschaftlich erfolgreich
und
künstlerisch bemerkenswert war – immer legte sie sich die Latte gefährlich hoch, zu hoch mitunter. Ihr Ehrgeiz war Jan fremd.
Er hatte nie das Bedürfnis gehabt, ein besonderes Leben zu führen.
Hin und wieder kündigten Schilder Autobahnkreuze an. Jan hatte keine Vorstellung, wohin er den Buick steuern sollte, sie hatten
keine Strecke verabredet. Die Namen der Städte sagten ihm nichts. Den Amerikanern vorzuwerfen, sie hätten bis auf Paris, London
oder Rom keine Vorstellung von Europa, war ungerecht. Jan kannte nichts außer New York, San Francisco und Los Angeles. Er
fuhr einfach geradeaus.
Kristin machte keine Bemerkung darüber, wann sie umkehren wollte. Irgendwann überquerten sie den Mississippi, den Jan viel
weiter im Süden vermutet hatte. Er kramte den Straßenatlas hervor und stellte überrascht fest, daß der Mississippi in der
Nähe der kanadischen Grenze entsprang.
|179| Morgens hielten sie in der Regel nach kurzer Fahrt an einem Restaurant und ließen sich die Karte bringen:
Breakfast in America,
dachte Jan, an das er sich schnell gewöhnte, weil er es angenehm fand, sich vom Toast über Cornflakes und Muffins bis zum
Ei alles einzeln bestellen zu können, nur mußte er erst lernen, daß es mit dem Wunsch nach Kaffee nicht getan war, sondern
er wählen mußte zwischen
regular
oder
decaffeinated.
Milch war nicht einfach Milch, sondern
regular
oder
low fat,
und bei Eiern war zu entscheiden, ob
regular
oder
low cholesterol.
Er gewöhnte sich an, gleich alles pro forma
regular
zu bestellen. Kaffee wurde nachgeschenkt, sooft man wollte.
Kristin erzählte einmal, daß sie es nicht sonderlich schätze zu frühstücken, weil sie als Kind das gemeinsame Frühstück nur
als Zwangsritual erlebt habe, veranstaltet aus Gründen familiärer Harmonie, die aber letztlich aus nichts als stummem Zeitunglesen
und Brötchenschmieren bestand, und sie konnte nicht glauben, daß sich
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