Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost
bereiten. Wenn sie nicht mit mir sprechen will, gehe ich wieder.«
Er blickt an mir vorbei in den Garten. »Ich glaube nicht, dass Sir Douglas das gutheißen würde.«
»Fragen Sie einfach sie selbst.«
Er denkt kurz nach, willigt ein und lässt mich auf der Treppe warten. Irgendwo glimmt ein Laubfeuer, der Himmel hat die Farbe von schmutziger Wäsche.
Thomas kommt zurück. »Miss Carlyle wird Sie in der Küche empfangen.«
Er geht voraus. Wir laufen durch Flure mit Gemälden von
Dachshunden, Pferden und Fasanen an den Wänden, die Rahmen sind so dunkel, dass sie vor der Holztäfelung verschwinden und die Tiere wie in Aspik in der Luft zu schweben scheinen. Über der Treppe hängen englische Landschaften mit Seen und Flüssen.
In der Küche bemerke ich zunächst gar nicht, dass Rachel mich bereits erwartet. Sie steht still da wie eine Fotografie, groß und dunkel.
»Ihr Vater hat gesagt, ich könne Sie nicht sprechen«, sage ich.
»Er hat mich nicht gefragt.«
Sie trägt Jeans und eine Bluse aus Rohseide. Ihr dreieckiges Gesicht wirkt durch eine neue Frisur weicher, sie trägt die Haare kürzer, als ich es in Erinnerung habe, nur noch knapp schulterlang.
»Ich habe gehört, dass Sie sich nicht daran erinnern können, was in jener Nacht passiert ist.«
»Ja, eine Zeit lang.«
Sie beißt sich auf die Unterlippe und überlegt, ob sie mir glauben soll. »Mich haben Sie nicht vergessen.«
»Nein. Ich wusste nur nicht, was mit Ihnen passiert ist. Ich habe es erst vor ein paar Tagen entdeckt.«
Ihr Blick wird drängend. »Haben Sie Mickey gesehen? War sie dort?«
»Nein, tut mir Leid.«
Sie schürzt die Lippen und wendet sich ab. »Sein Gedächtnis zu verlieren und alles zu vergessen muss nett sein. All die schrecklichen Dinge im Leben, die Schuld, das Bedauern, alles weg, davongespült. Manchmal wünsche ich mir …« Sie lässt den Satz unbeendet, beugt sich über das Waschbecken, füllt ein Glas mit Leitungswasser und gießt eine Reihe afrikanischer Veilchen auf dem Fensterbrett. »Sie haben mich nie gefragt, warum ich Alexej geheiratet habe.«
»Das geht mich nichts an.«
»Ich habe meinen Exmann bei einer Spendengala für bosnische Waisenkinder kennen gelernt. Er hat einen ziemlich großen
Scheck ausgestellt. In jenen Tagen hat er viele große Schecks ausgestellt. Jedes Mal, wenn ich ihn zu einem Vortrag oder einer Dokumentation über die Vernichtung der Wälder, Tierquälerei oder die Not der Obdachlosen geschleift habe, hat er sein Scheckbuch gezückt.«
»Er hat sich Ihre Zuneigung erkauft.«
»Ich dachte, er glaubt an dieselben Dinge wie ich.«
»Ihre Eltern mochten ihn nicht?«
»Sie waren entsetzt. Alexej war beispiellos – jeder wäre besser gewesen als ein russischer Einwanderer mit einem Mörder als Vater.«
»Haben Sie ihn geliebt?«
Sie denkt nach. »Ja, ich glaube schon.«
»Was ist dann passiert?«
Sie zuckt die Achseln. »Wir haben geheiratet. In den ersten drei Jahren haben wir in Holland gelebt. Mickey ist in Amsterdam geboren. Alexej hat sein Unternehmen aufgebaut.«
Rachel spricht leise und wie nach innen gewandt. »Der Meinung meines Vaters zum Trotz bin ich nicht dumm. Ich wusste, was los war. Meistens waren es nur Gerüchte und nervöse Blicke in Restaurants. Ich habe Alexej danach gefragt, aber er meinte, die Leute seien bloß neidisch. Ich wusste, dass er in irgendetwas Illegales verwickelt war, und habe ihn immer wieder zur Rede gestellt. Das machte ihn wütend. Er sagte, eine Frau solle nicht an ihrem Mann zweifeln. Sie solle gehorchen.
Dann hat mich eines Tages die Frau eines holländischen Großgärtners besucht. Ich weiß nicht, wie sie meine Adresse herausbekommen hat. Sie hat mir ein Foto von ihrem Mann gezeigt. Sein Gesicht war dermaßen von Säure verätzt, dass seine Haut aussah wie geschmolzenes Wachs.
›Sagen Sie mir, wie eine Frau mit einem Mann zusammenbleiben kann, der so aussieht?‹, fragte sie mich. Ich schüttelte den Kopf, und sie sagte: ›Weil es nicht so schlimm sein kann, wie bei einem Mann zu bleiben, der so etwas tut.‹
Von da an war ich wachsam. Ich belauschte Gespräche, las EMails und bewahrte Kopien von Briefen auf. Ich habe Sachen herausgefunden …«
»Genug, um dafür umgebracht zu werden.«
»Genug, um meine Sicherheit zu garantieren«, verbessert sie mich. »Ich habe begriffen, wie Alexej Geschäfte macht. Einfach und brutal. Zunächst bietet er an, eine Firma zu kaufen. Wenn man sich nicht auf einen Preis einigen kann, brennt
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