Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost
war in der Stadt, Ihre Mutter hat Laken gefärbt. Sie haben gesagt, Sie wüssten nicht mehr, was Sie gemacht haben, aber das ist nicht wahr. Sie haben es keineswegs vergessen. Sie waren mit Luke zusammen …«
Ich sehe den Tag vor mir. Der Schnee lag hoch. Von der Hügelkuppe konnte man den gesamten Hof überblicken, bis zum Telegraph Point am Fluss und den Windsäcken beim Aerodrom.
»… Sie haben auf ihn aufgepasst …«
Sein Atem roch nach Zwieback. Er saß zwischen meinen Knien, eingepackt in eine von meinen alten Jacken. Er war so klein, dass mein Kinn auf seinem Kopf lag. Er trug eine alte gefütterte Fliegermütze mit flatternden Ohrenklappen, die ihn aussehen ließen wie einen Labradorwelpen.
»Damals im Pub, bevor wir Rachels Wagen fanden, habe ich angefangen, einen Traum zu erzählen«, erklärt Joe. »Es war Ihr
Traum. Ich sagte, Sie träumten davon, Luke zu retten. Sie würden sich vorstellen, mit ihm auf dem Schlitten zu sitzen und den Hügel hinunterzufahren, damit Sie Ihre Stiefel vor dem Teich in den Schnee stemmen und bremsen könnten. Da hätte es mir klar werden müssen. Das war kein Traum – es war die Wahrheit. «
Die Buckel ließen den Schlitten abheben, und Luke juchzte laut vor Lachen. »Schneller, Yanko! Schneller!« Er klammerte sich an meine Knie und lehnte sich an meine Brust. Am Fuß des Hügels wurde die Strecke flacher und endete an einem ausgeleierten Maschendrahtzaun zwischen zwei Pfählen. Wir fuhren schneller als üblich. Ich stemmte meine Stiefel in den Boden, aber wir prallten mit zu viel Fahrt gegen den Zaun. Im einen Moment war er noch in meinem Arm, im nächsten umklammerte ich nur noch Luft.
Das Eis brach unter ihm, zersplitterte in Rauten und Dreiecke, harte Konturen ohne jede Rundung. Ich watete ins Wasser und rief laut seinen Namen. Ich tauchte tiefer und tiefer. Wenn ich nur eine Strähne seines Haares zu fassen oder seinen Kragen packen könnte, wäre er in Sicherheit. Ich könnte ihn retten. Aber es war zu kalt, und der Teich war zu tief.
Mein Stiefvater kam. Er schaltete einen vom Traktor betriebenen Scheinwerfer ein und legte Planken über das Eis. Er schlug das Eis mit einer Axt auf und langte mit den Armen auf den Grund des Teiches. Ich sah vom Fenster unseres Zimmers aus zu und betete, Luke möge irgendwie unversehrt sein. Niemand sagte etwas. Das war auch nicht nötig. Es war meine Schuld. Ich habe ihn getötet.
»Sie waren zwölf Jahre alt. Es war ein Unfall.«
»Ich habe ihn verloren.«
Ich wische meine Wangen ab, schüttele den Kopf und verfluche ihn. Was wissen andere schon von Schuld?
Joe steht auf und bietet mir eine Hand an. »Kommen Sie, wir gehen.«
In seinen Augen bin ich nicht kleiner geworden, aber es wird zwischen uns nie wieder so sein wie vorher. Ich wünschte, er hätte Luke in Frieden ruhen lassen.
Auf der Fahrt ins Büro sagt keiner etwas. Rachel begrüßt uns an der Tür. Sie hat die ganze Nacht gearbeitet.
»Ich habe vielleicht etwas gefunden«, sagt sie, als wir die Treppe hinaufsteigen. »Mir ist etwas eingefallen, das Kirsten mir bei Howards Prozess mal erzählt hat. Wir haben darüber gesprochen, wie es ist, als Zeugin vor Gericht auszusagen, und sie sagte, dass sie einmal als Leumundszeugin für eine angeklagte Freundin bestellt worden sei.«
»Wissen Sie, weshalb ihre Freundin angeklagt war?«
»Nein. Und sie hat auch keinen Namen genannt.«
Ich nehme den Telefonhörer ab. Er schuldet mir keinen Gefallen, aber vielleicht wird »New Boy« Dave ihn mir um Alis willen trotzdem gewähren.
»Tut mir Leid, Sie zu wecken.«
Ich höre ihn stöhnen.
»Ich brauche Ihre Hilfe. Ich möchte, dass Sie alle im Computer erfassten polizeilichen und gerichtlichen Unterlagen nach Kirsten Fitzroy durchforsten.«
»Ist bereits geschehen.«
»Ja, aber Sie haben sie als Beschuldigte gesucht. Vielleicht war sie Zeugin.«
Er antwortet nicht. Er überlegt, ob er einfach aufhängen soll. Er hat keinen Grund, mir zu helfen, und ein Dutzend Gründe, Nein zu sagen.
»Kann das nicht warten, bis es richtig morgen ist?«
»Nein.«
Nach einer weiteren langen Pause sagt er: »Wir treffen uns um sechs bei Otto’s.«
Otto’s ist ein Café zwischen einem Wettbüro und einem Waschsalon am westlichen Ende der Elgin Avenue. An einem Samstagmorgen besteht die Kundschaft aus Taxifahrern und
Stückgutfahrern, die sich mit Kaffee und Kohlehydraten für den anstehenden Tag fit machen.
Ich warte am Fenster. »New Boy« Dave kommt pünktlich, auf dem
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