Amnion 2: Verbotenes Wissen
den sie vor ihm verspürte, sich perverserweise auf die Mittel übertragen, durch die sie ihm standhielt. Sie fing sich für die Art, durch die sie sich ihm gegenüber behauptet hatte, zu schämen an. Er hatte nie vorgehabt, sie an die Amnion zu verschachern: Folglich verdiente er eine anständigere Behandlung.
Das Z-Implantat verlieh ihr Gewalt über sich selbst. Es machte sie für Nick wertvoll. Es befähigte sie zum Überleben. Aber es tat nichts, um ihre nachteilige Meinung über die eigene Person zu bessern. Eben weil es sich um ein künstliches Hilfsmittel handelte, unterminierte es ihr Selbstwertgefühl.
Wenn sie an sich glauben wollte, mußte sie auf all das zurückgreifen, das ihr Vater im Leben repräsentiert hatte. Sie bedurfte der Ehrlichkeit und Integrität, des Muts, der Bereitschaft, für ihre Überzeugungen zu sterben.
Sie brauchte ihren Sohn.
Das bedeutete, daß sie die Amnion brauchte.
Diese Erkenntnis erschreckte Morn so nachhaltig, daß sie zunehmend häufiger daran dachte, während der Bremsphasen ihr schwarzes Kästchen ausgeschaltet zu lassen. Die Vorstellung, zwei Stunden allein eingesperrt und mit ihrem Hyperspatium-Syndrom zuzubringen, erschien ihr zusehends als das kleinere Übel. Vielleicht fand sie, falls sie sich darauf einließ, etwas über die Schwere oder die Erscheinungsdauer der Symptome des Syndroms heraus. Möglicherweise entdeckte die die Grenzen der destruktiven Klarheit, mit der das Universum zu ihr sprach. Unter Umständen konnte sie feststellen, wie gut ihr Geist während des akuten Auftretens der Krankheit noch funktionierte…
Sich einfach in Schlaf zu senken, empfand sie als Kapitulation vor dem genetischen Terror der Amnion. Jedesmal wenn sie in ihre Kabine zurückkehrte, mußte sie stärkere Willenskraft aufwenden, um ihren Drang zu überwinden, das Zonenimplantat-Kontrollgerät erst gar nicht zur Hand zu nehmen.
Doch sie zwang sich dazu. Wenn sie ihren Sohn haben, Überzeugungen und Opfersinn wiedererringen wollte, mußte sie mit ihrer Furcht leben.
Wenn die Käptens Liebchen abbremste, ›schaltete‹ sich Morn auf Schlafen. Wenn an Bord der Käptens Liebchen Ruhepause herrschte, trieb sich Morn auf der Brücke herum.
Weil nichts die Furcht eindämmmte, vermehrte sie sich, pflanzte sich in Morns Innerem von Zelle zu Zelle fort wie bösartiges Neoplasma.
Nachdem Nick die Geschwindigkeit des Raumschiffs um zwei Drittel gesenkt hatte, kontaktierte er Station Potential.
Mittlerweile hatten zwei Amnion-Kriegsschiffe auf seine Ankunft reagiert. Eines verlegte den Kurs auf eine Trajektorie, auf der es die Käptens Liebchen knapp außerhalb der Schußweite abfangen konnte; ein zweites nahm zu Verteidigungszwecken eine Fluglage zwischen der Käptens Liebchen und Station Potential ein. Aber noch waren keine Aufforderungen gefunkt worden, sich zu identifizieren oder eine Erklärung zu geben. Lind empfing die Art von verkehrsrelevanten Daten, wie jede Weltraumstation sie im Anflug befindlichen Raumschiffen übermittelte, um die Flugsicherheit zu gewährleisten – Nahraum-Koordinaten, Schiffsvektoren, Reede-Flugschneisen –, sonst jedoch war bislang nichts eingegangen.
»Sie erwarten, daß wir uns melden«, sagte Nick, drückte sich energischer in seinen Kapitänssessel. »Hier sind wir die Aliens. Ich denke mir, daß sie der Auffassung sind, es ist unsere Sache, als erste mit ihnen Funkverbindung aufzunehmen.«
Er wirkte kraftvoll-resolut und selbstsicher, erregte den Anschein, geradezu danach zu lechzen, sich mit allem zu messen, was sich ihm entgegenstellen mochte. Ein Fremder hätte gesagt, er sei ausgeruht und gut aufgelegt, zu allem bereit. Aber inzwischen kannte Morn ihn besser. Sie sah ihm an, daß Müdigkeit und Nachwirkungen des Zweifels ihn beeinträchtigten wie eine Infektion. Der Streß machte sein Grinsen starr, als hätten seine Gesichtszüge einen Krampf; seine Hände verrichteten alles zu schnell; seine Augen schielten ständig nach irgendwelchen Notfällen. Er hatte gegen Morns Anwesenheit nichts einzuwenden, aber dann und wann schaute er sie unvermutet von der Seite an, als ob ihn die Befürchtung beunruhigte, sie könnte etwas anstellen.
Auch Mikka Vasaczk hielt sich im Kommandomodul auf, war so grimmig wie stets und betätigte sich durch und durch kompetent. Und Vector Shaheed saß auf dem Platz des Bordtechnikers. Gelegentlich lächelte er Morn mit unpersönlicher Freundlichkeit zu, äußerte jedoch kein Wort. Alle übrigen Anwesenden
Weitere Kostenlose Bücher