Amnion 2: Verbotenes Wissen
nachzudenken. Falls sie irgendeine Spur von Überraschung empfand, dann in einem völlig anderen Zusammenhang.
Konnte es sein, daß alles, was sie sich mittels ihres schwarzen Kästchens zugemutet hatte, alle ihre Bemühungen zur Unterdrückung ihres Widerwillens und Abscheus sich nun auszahlen sollten?
»Ich begreif’s noch immer nicht«, gestand sie halblaut. »Du hast Hunderte von Frauen gehabt. Weshalb willst du ausgerechnet mich behalten?«
Nick fletschte die Zähne, als wollte er ein Aufheulen ausstoßen. »Bist du wirklich so blöde? Verflucht noch mal, muß ich dir etwa ’ne Grafik anfertigen? Ich bin Nick Succorso. Die Menschen reden über mich in allen Richtungen des Weltalls viele Parsek weit. Ich bin für sie der Pirat, der Mann, über den es sich lohnt, Geschichten zu erzählen, weil er als einziger in der ganzen Galaxis macht, was er will. Ich bin der Mann, der seine eigenen Regeln durchsetzt, der Mann, der jeden Stationssicherheitsdienst verarscht, der Mann, der die VMKP zum Narren hält, der Mann, der mit den Amnion tanzt und mit heiler Haut davonkommt. Beim Arsch der Galaxis, ich habe sogar den Düsenficker Kaptein Thermogeil gefoppt. Ich schmiere jeden an.« Während er sprach, färbte wieder Lust seine Narben dunkel, so daß es in ihnen düster pochte; seine Wut ließ sich nicht mehr von Entzücken unterscheiden. »Ich kann im Human-Kosmos überall hinfliegen, weil mir niemals irgendwer was beweist, und wenn ich ’n Lokal betrete, wird in allen Ecken mein Name geflüstert. Völlig Fremde verbreiten meinen Ruf weiter. Vollkommen Fremde gestehen mir alles zu, was sie haben, nur weil sie hoffen, einmal in einer der Geschichten, die man sich über mich erzählt, erwähnt zu werden. Und das gefällt mir. Ich hab’s verdient.«
Der Steueranlagen-Hauptoperator nickte einige Male. Carmel lachte beifällig. Mikka musterte Nick aus krampfhaft starrer Miene: Hinter dieser Maske blieben alle ihre inneren Konflikte verborgen.
Nick bemerkte nichts von allem. Sein Zeigefinger wies aggressiv auf Morn. »Du zählst schon zum Inhalt so einer Geschichte. Eine Astro-Schnäpperin, die auf die gesamte VMKP pfiff, um mit mir auszubüchsen… Das ist wahrhaftig eine der besten Nick-Succorso-Geschichten. Aber was nun bevorsteht, wird noch besser. Die Leute werden wie noch nie über Nick Succorso reden, der das eigene Leben, sein Raumschiff und alles andere bei den Amnion in die Waagschale geworfen hat, damit Morn Hyland ihm seinen Sohn schenken kann. Diese Geschichte wird man noch erzählen, lange nachdem die Vereinigte-Montan-Kombinate Scheißpolizei ausgestorben ist wie die Buckelwale.«
Er verstummte, atmete angestrengt, die Narben nachgerade schwarz, als hätte er die Höhen einer persönlichen Apotheosis erklommen.
Morn konnte seinen Anblick nicht mehr ertragen. Im Innersten ihres Herzens hatte eine winzigkleine Hoffnung zu keimen angefangen. Endlich glaubte sie Nick. Er hatte nicht vor, sie zu verkaufen. Oder ihr Kind. Ein Mann, der für die Art von Anekdoten lebte, die man über Nick Succorso verbreitete, verriet weder sie, noch irgend jemand anderes, der zu seinem Umkreis gehörte, an die Amnion.
Sie hatte gewonnen: gründlicher als Nick ahnte, als sie selbst es für möglich gehalten hätte.
Infolge ihrer wiedererstandenen, noch schwachen Hoffnung überhörte sie, daß in Nicks Stimme mehr als nur Hingerissenheit zum Ausdruck kam. Der Unterton eines Zweifels, der an seinem Gemüt fraß und nagte, schwang darin mit. Ein Mann, der für die Geschichten lebte, die über ihn kursierten, dürfte nicht in der Verlegenheit sein, sie selbst erzählen zu müssen. Als Meister seiner Kunst hing er von der vollständigen Beherrschung seiner Werkzeuge ab. Für ihn wäre es untragbar, einer Täuschung zu erliegen, indem sein Werkzeug sich als falsch entpuppte, die Geschichte zu einem Witz über Nick Succorso mißriet, der sein Leben, sein Raumschiff und auch alles Übrige riskierte, damit eine Frau, die ihn nicht liebte, ihr Kind bekommen konnte.
Niemals könnte er es tolerieren, daß irgendwer – und wären es völlig fremde Menschen – über ihn Grund zum Lachen hätten.
Dieser Sachverhalt entging Morn. »Aber ich versteh’s noch immer nicht«, sagte sie mit schwächlicher Stimme, als wollte sie seine Geduld auf die Probe stellen. »Warum ich? Weshalb all das nur meinetwegen?«
Ohne es zu beabsichtigen, rührte sie damit bei ihm an einen wunden Punkt. Schlagartig schossen seine Wut und Gewaltneigung von
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