Amnion 2: Verbotenes Wissen
erwiderte Nick, »Sie wollen sie in ’ne Amnioni verwandeln.« Der Husten hatte seine Stimme rauh gemacht.
Weil er die Helmscheibe offen hatte, sah Morn, daß sein Gesicht naß war von Schweiß oder Tränen, eine Folge der beißenden Luft, die er nur atmete, damit Morn hören konnte, was er redete.
Zu entkräftet, noch der Besinnungslosigkeit zu nahe, um sich mit Feinheiten abzugeben, verzichtete Morn auf jeden Versuch, an ihrem schwarzen Kästchen Adjustierungen vorzunehmen; sie schaltete es ganz einfach aus.
Dann wälzte sie sich über den Rand der Liege.
Während die Wucht des Aufpralls und der Schock des seelischen Wechsels sie durchfuhr, hörte sie den Amnion-Arzt zur Bekräftigung noch einmal klarstellen: »Die Prozedur induziert einen vollständigen, unwiderruflichen Verlust des Verstands und der psychischen Funktionen.«
In den Randbereichen ihres Blickfelds sah sie Nicks Stiefel auf sich zustampfen. Neben ihr blieb er stehen, beugte die Knie.
»Steh auf!« krächzte er.
Morn versuchte es, aber es war zuviel verlangt. Wie ein gedehntes Gummiband, dem man plötzlich die Spannung nahm, schien ihr Geist aus dem Abgrund, der Leere, in der er geschwebt hatte, von Nick fort- und zurückzuzucken – dorthin, wo ihr Sohn sich mit seinen Nöten plagte. In ihrer Vorstellung sprang sie auf, eilte ihm zu Hilfe. Das unbegreifliche Erwachen müßte für ihn noch gräßlicher sein, wenn er sie erblickte und glaubte, sie sei er selbst. Er brauchte Beistand, um die Wahrheit zu verstehen; ihre Unterstützung, um daraus klug zu werden, was und wer er war, damit sein Innenleben keine Störung davontrug.
Doch Morns Körper lag auf dem Fußboden und zitterte vor sich hin. Sie stemmte die Arme auf den Boden, vermochte aber nicht den Brustkorb anzuheben. Das Druckgefühl in ihren geschwollenen Brüsten erfüllte sie mit einem unpersönlichem Schmerz.
»Steh auf, du miese Schlunze!« keuchte Nick, hustete, bis seine Stimme fast versagte.
Morn konnte es nicht.
Nick packte sie, als hätte sie keinerlei Gewicht, am Stoff der Bordmontur und riß sie in die Höhe, warf sie gegen die Seite des Kastens, zerrte sie dann zu sich herum. Aus dem Innern des Raumhelms funkelten seine Augen sie an; in seinem Blick standen nichts als schwärzeste Finsternis und Gnadenlosigkeit. Von gestautem Blut und wütendster Erbitterung glühten ihm die Narben. »Gottverflucht noch mal, das alles hast du mir zugemutet, und ’s ist nicht mal mein Kind! Es ist Thermopyles Brut. Er ist nicht mal mein Sohn!«
Im folgenden Moment brach er zusammen, weil Davies von dem anderen Kasten herübergekommen war und ihn mit aller rohen Kraft, wie Morn sie von Angus kannte, in den Rücken gedroschen hatte.
Sich Halt zu verschaffen unfähig, plumpste Morn auf Nick.
Er ächzte, krümmte sich unter Schmerzen, als hätte er gebrochene Rippen, versuchte fortzukriechen.
Sobald Morn von ihm heruntergerollt war, sah sie, daß Davies sich über sie beugte. Als sie sich nicht mehr rührte, bückte er sich, ging in die Hocke. Seine Augen erforschten ihr Gesicht, als könnte er vor lauter Grauen den Blick nicht mehr abwenden.
Weitere Amnion waren anwesend: die Wächter. Sie hoben Nick zwischen sich vom Fußboden auf und hielten ihn fest, so daß er auf niemanden losgehen konnte. Er sträubte sich wie jemand, dessen Rippen keine ernsten Verletzungen hatten. Trotzdem reizte die stickige Luft seine Bronchien allzu stark, und jede Anstrengung verstärkte sein Husten, kostete ihn Kräfte.
»Stellen Sie die hermetische Geschlossenheit Ihres Schutzanzugs wieder her«, riet ihm der Arzt, »um Ihnen das Atmen zu erleichtern. Ihre Mitteilungen werden übertragen.«
»Er wollte dir weh tun«, sagte Davies leise. Er hatte die Stimmbänder eines Sechzehnjährigen, aber seine Stimme die unschuldige Betonung wie bei einem Kind; sie klang nach einer jungen, arglosen Version seines Vaters. Eine Bestürzung, so tief wie die Dimensionskluft zwischen den Sternen, starrte ihm aus den Augen.
»Das konnte ich ihn nicht tun lassen. Du bist ich.«
Am liebsten hätte Morn die Arme um seinen Hals geschlungen und ihn an ihre empfindlich gewordenen Brüste gedrückt, aber dafür fehlte es ihr an Kraft. Und anderes war wichtiger. »Nein«, erwiderte sie – trotz ihrer Schwäche und der Belastung durch die Übergangssituation – durch die Atemmaske. »Das ist nicht wahr. Du mußt mir vertrauen.«
Davies’ emotionale Krise spiegelte sich in seinem Mienenspiel wider, der Konflikt zwischen der
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