Amnion 2: Verbotenes Wissen
abzutreten.
Nur Morns Z-Implantat verhinderte, daß sie das Aufheulen, das sich ihr entringen wollte, unterdrücken konnte. Wieder stand sie für einen Moment dicht davor, über Nick herzufallen, irgendeine irrwitzige Tat zu begehen, für die man sie sofort umbrächte, solange sie noch ein Mensch war und vor den Amnion in Sicherheit, und die auch Davies, wenn er sie zu verteidigen versuchte, das Leben kostete. Es wäre für sie beide besser, bei einem Handgemenge auf der Brücke von Nicks Raumschiff umzukommen, als Amnion zu werden…
Aber der artifizielle Gleichmut, den ihr Implantat generierte, behielt sie in der Gewalt. Anstatt herumzuschreien oder jemanden anzugreifen, ging sie noch einen Schritt weiter.
Der Einfluß des schwarzen Kästchens unterwarf sie einer Form der Verrücktheit; und aus seiner neuralen Stimulation, den zwanggleichen Impulsen, begann sie das Gewebe einer dermaßen extremen Taktik zu spinnen, daß daneben Geheul und Gewalt wie Ausdrucksweisen eines unbeeinträchtigten Gemüts wirkten.
Sie konnte damit durchkommen. Wenn sie Umsicht walten ließ, konnte sie Erfolg haben.
Und wenn sie scheiterte…
Falls sie scheiterte, sollte nichts an Bord der Käptens Liebchen oder Station Potentials sie davor zurückhalten, Vergeltung zu üben. Daran beabsichtigte sie sich durch absolut nichts hindern zu lassen.
Liete stand zu nahe dabei: Sie hatte keine Möglichkeit, mit Davies zu reden, ohne gehört zu werden. Sie mußte darauf bauen, daß sie über das Vermögen verfügte, die geistige Gesundheit zu bewahren, wenn Nick ihn den Amnion übergab.
Trotz des extremen Charakters ihrer Absichten hatte sie noch die Fähigkeit – das Z-Implantat ließ es ihr –, Betroffenheit zu empfinden, als Mikka Vasaczk den Unterhändler Station Potentials auf die Brücke brachte. Entweder war das Wesen an Mikkas Seite einmal ein Mensch gewesen und ihm ein Mutagen injiziert worden, das keine gänzlich durchschlagende Wirkung gehabt hatte, oder ein Amnion, und der Versuch, ihm eine menschliche Gestalt zu verleihen, mußte in erheblichem Umfang mißlungen sein. Morn vermutete, daß ersteres zutraf, und wenn nur, weil die menschlichen Partien des Geschöpfs ein durch und durch echtes Aussehen hatten.
An der allgemeinen Erscheinung wie auch einigen Eigenheiten konnte man es – oder ihn – als Menschen erkennen, als Mann. Er hatte einen menschlichen Arm, und ein Großteil des Brustkastens wirkte normal. Die Haut der Schienbeine sah ganz gewöhnlich und ziemlich bleich aus. Eine Hälfte seines Gesichts ähnelte der Physiognomie beliebiger anderer Männer und bewegte sich auch dementsprechend. Und er atmete die Bordatmosphäre der Interspatium-Barkentine mit lediglich minimalen respiratorischen Schwierigkeiten.
Aber die Beine seiner Bordmontur – fabriziert aus eben dem Stoff wie Davies’ Montur, dem Material, das Licht zu absorbieren schien – waren gestutzt worden, weil die dicken, knorrigen Krusten amnionischer Haut, die die Knie umhüllten, nicht hineingepaßt hätten. Der andere Arm war gleichfalls unbekleidet: Amnionisches Hautgewebe brauchte keinen zusätzlichen Schutz. Und die nichtmenschliche Hälfte des Gesichts war geschaffen für die schweflige Beleuchtung und beißend-rauhe Luft Station Potentials. Aus dieser Gesichtsseite glotzte ein Amnion-Auge geradeaus, ohne zu blinzeln; etliche der darunter im teils lippenlosen Mund sichtbaren Zähne zeichneten sich durch die gleiche Spitzheit aus, die Morn bei den Gebissen der Amnion-Wächter bemerkt hatte.
»Nick…« Mikka sprach mit tonloser Stimme, hatte ihre sämtlichen Emotionen vollständig gemeistert. »Das ist der Amnion-Unterhändler.« Sie zeigte Nick der Kreatur, die neben ihr verharrte. »Und das ist Kapitän Nick Succorso.«
Die Waffe schußbereit, wich sie zurück, um seitlich der Durchgangsblende Wache zu stehen. »Ich möchte sitzen«, sagte die Kreatur in Tönen, die an das Rieseln von Rostflöckchen erinnerte.
Alle Anwesenden starrten sie an. Davies’ furchte, aus Gründen verstört, die er wahrscheinlich nicht einmal zu nennen vermocht hätte, die Stirn so finster, daß man sich unwillkürlich an den Qualm eines Ölbrands gemahnt fühlte. Ein Ausdruck des Ekels entstellte Albas Gesichtszüge. Vectors schweißige Blässe verliehen ihm das Äußere eines Invaliden. Ransum trommelte mit den Fingernägeln auf das Kontrollpult, als könnte das stakkatohafte Geräusch ihre Angespanntheit lindern. Karster und der Scanning-Zweitoperator
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