Amnion 2: Verbotenes Wissen
Rotation der AstroLabor-Station sowohl Richtung wie auch Geschwindigkeit). Sie konnte lediglich beobachten, daß die Objekte wirklich verschwanden und keine meßbaren Emissionen ihr Verschwinden begleiteten.
Eines Tages jedoch energetisierte sie das Feld, um einen Barren massiven Titaniums verschwinden zu lassen. In buchstäblich derselben Sekunde demolierte eine Detonation ein Schott der AstroLabor-Station – zum Glück nur das Zusatzschott eines Frachtlagers, das den Zweck erfüllte, die bewohnten Regionen der Station zu schützen, sollte einmal Fracht explodieren – durch einen Unfall oder infolge eines terroristischen Akts – und eine Dekompression des Frachtlagers verursacht werden. Man ersah den Ursprung der Detonation, als man in einem in das Schott geschlagenen Loch den Titaniumbarren stecken; der Barren war – wohl nach Durchquerung einer interdimensionalen Zone – an einem räumlichen Punkt wiederausgetreten, den schon das Schott einnahm; und weil der Barren massiver und härter war, hatte das Schott ihm weichen müssen.
Freilich begriff niemand die Bedeutung des Vorfalls, bis Dr. Estevez reichlich verlegen eingestand, daß der Barren aus ihren Arbeitsräumen stammte.
Von dem Moment an war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Menschen sich nach und nach über das heimatliche Sonnensystem hinauswagten.
Unvermeidlich verliefen die weiterführenden Forschungen konfus und wurden mit aller Vorsicht vorgenommen. Ihre eigenen Experimente mißverstanden zu haben, bereitete Dr. Estevez gehörige Trübsal, und aufgrund dieser Peinlichkeit legte sie fortan ein noch konsequenteres Selbstschutz- und Abwehrverhalten an den Tag, als man es ohnehin von ihr kannte. Der Forschungsdirektor der AstroLabor-Station fühlte sich hin- und hergerissen zwischen seinem Wunsch, Dr. Estevez’ Experimente zu forcieren, und dem Bestreben, die Erfindung ihrer Verantwortlichkeit zu entwinden. Und der Verwaltungsdirektor opponierte gegen das Projekt insgesamt und erklärte zur Begründung, die Ökologie der AstroLabor-Station sei zu empfindlich, als daß man das Risiko der Beschädigung weiterer Schotts oder sogar des Außenrumpfs der Station tragen könnte.
Da allerdings waren Dr. Estevez’ Forschungen längst eine Angelegenheit von viel zu dramatischer Bedeutsamkeit geworden, um noch behindert werden zu können; und endlich offenbarte ihr eventueller Nutzen sich als zu groß, als daß man ihn zu leugnen imstande gewesen wäre. Man konstruierte neue Versionen des ›Aufspalters‹ (nunmehr als ›Juanita-Estevez-Massentransmission-Feldgenerator‹ bezeichnet); man beförderte immer mehr Objekte durch den Hyperraum und fand sie wieder; nahm umfangreiche Computeranalysen der Tests und ihrer Ergebnisse vor. Dann ging man dazu über, Voraussagen zu machen; und Tests durchzuführen, um die Voraussagen zu verifizieren. Der Hyperraum-Antrieb funktionierte, bevor selbst die abstrusesten Gedankenakrobaten sich die Existenz eines Hyperspatiums vergegenwärtigten. Die interdimensionale Raumfahrt wurde Realität, sobald man die Interaktionalität des Hyperfelds in bezug auf hauptsächlich Masse, Geschwindigkeit und Hysteresis in adäquatem Maße quantifiziert hatte – lange bevor irgendein theoretisches Verständnis des Hyperspatiums breitere Akzeptanz in den Wissenschaftlerkreisen der Erde erlangte. Wie üblich schritt die Menschheit zuerst zu Taten und machte sich später Gedanken über die Weiterungen.
Dr. Estevez hätte damit rechnen müssen, daß ihr Name für ihre Erfindung außer Gebrauch kam, sobald die Hyperspatium-Theorie wissenschaftliches Allgemeingut wurde, erwartete es aber nicht. Der JEMF verwandelte sich zunächst in den ›Hyperspatium-‹, danach in den ›Ponton-Antrieb‹. Auf gewisse Weise erinnerte man sich nur noch wegen ihrer Fehler an sie: Die Ausdrücke ›in die Tach wechseln‹ und ›in die Tard zurückfallen‹ blieben in der Raumfahrt gängig, und die Redewendung ›einen Estevez bauen‹ setzte sich mit dem Sinn durch, ›großen Mist mit vorteilhaften Folgen‹ anzurichten.
Sie starb als außerordentlich verbitterte sowie außergewöhnlich wohlhabende Frau.
ANGUS
Viele Male wachte Angus Thermopyle auf und erinnerte sich an kein einziges Mal. Der Alptraum, vor dem er sein Lebtag lang auf der Flucht gewesen war, hatte ihn in den Klauen. Er konnte nichts tun, um ihn abzuschütteln.
Während er sich in tiefgefrorener Verfassung befand, erwachte er natürlich nicht. Man hatte ihn aus einer
Weitere Kostenlose Bücher