Amnion 2: Verbotenes Wissen
Niederlage hatte es ihm gestattet, seine Zweifel zu überwinden.
»Dann mach ich dir einen anderen Vorschlag«, sagte er friedfertig. »Wenn du dich mir mit ganzem Herzen hingibst – bloß einmal, damit ich weiß, wie’s ist –, laß ich dich mit deinem Balg reden. Ach was, ich erlaube dir sogar, dich mit ihm zusammenzusetzen. Du darfst den gesamten restlichen Tag damit zubringen, sein Händchen zu halten.«
Davies! dachte Morn mit einer Aufwallung angestauten Kummers und Grams. Eine Gelegenheit, um mit ihm zu sprechen, bei ihm zu sein; die Aussicht, zu tun, was sie konnte, um abzuwenden, daß er verrückt wurde; eine Chance, das Erbe ihres Vaters zu wahren.
»Ich glaube, ich habe dich unterschätzt«, sagte sie Nick ins Gesicht. »Allmählich steht Angus Thermopyle« – mit einem Mal fiel es ihr leicht, den Namen zu nennen – »im Vergleich mit dir ziemlich positiv da.«
Für eine Sekunde entstellte ein Zucken seiner Wange sein Lächeln in ein Zähnefletschen. Aber er blieb ruhig.
»Vermutlich hast du mich unterschätzt«, entgegnete er, als wäre das die freundlichste Bemerkung, die er je zu Morn gemacht hatte. Mit bedächtiger, lässiger Gebärde entnahm er seiner Tasche das schwarze Schaltkästchen. »Oh, keine Bange«, sagte er, als er ihre Bestürzung sah. »Ich habe nicht vor, es zu benutzen. Mir liegt nichts daran, dich in ’n Nullwellenhirnchen zu verwandeln. Und ich zwinge dich nicht, dich von mir ficken zu lassen. Ich bin noch nie so wild auf eine Frau gewesen, um so was nötig zu haben. Es dient mir nur« – er winkte mit dem Kontrollgerät – »zur Vorsicht. Da ich jetzt darüber Bescheid weiß, wie du über mich denkst – wie sehr du mich haßt –, will ich die Sicherheit haben, daß ich mich vor dir schützen kann.« Sein unbefangenes Schmunzeln drückte keinerlei Drohung aus.
Ohne die Füße zu bewegen, streckte er den Arm aus und aktivierte den Interkom-Apparat. »Mikka?«
»Hier«, drang Mikkas Stimme aus dem Lautsprecher.
»Schalte Morn ’ne private Verbindung zu unserem zweiten Gast«, ordnete er mit Untertönen der Bosheit in der Stimme an. »Die beiden müssen sich mal aussprechen. Morn ist seinetwegen in Sorge. Und der bedauernswerte Hurensohn sorgt sich wahrscheinlich auch selbst um sich.«
»Wird erledigt«, antwortete Mikka.
Als Nick die Hand vom Interkom-Apparat nahm, zeigte ein Lämpchen an, daß er eingeschaltet blieb.
Geruhsam schlenderte er zur Koje. Er setzte sich, schob sich das Kissen in den Rücken und legte die Beine hoch. Er rückte sich so bequem zurecht, als wollte er ein Nickerchen halten. Er belächelte Morns Staunen, deutete mit der Hand auf den Interkom-Apparat.
Schon mit dem Räuspern hatte Morn Mühe. Kaffee, Nahrung und Wasser waren zuwenig; sie war ungenügend vorbereitet. »Wo ist der Haken?« fragte sie und schluckte krampfhaft.
»Hättest du nicht eine so ausgeprägte Neigung, mich zu unterschätzen«, gab er selbstzufrieden zur Antwort, »würde ich sagen, du bist’s. Aber unter den gegenwärtigen Umständen kannst du’s dir gar nicht leisten, dich mit solchen Fragen zu befassen.«
Er wies noch einmal auf den Interkom-Apparat, drängte sie regelrecht zur Benutzung.
»Morn?« fragte Davies ängstlich. »Bist du da? Was ist los? Läßt er dich mit mir reden?«
Vor Furcht beinahe bewegungsunfähig, nahm Morn neben dem Apparat Platz. Sie konnte nicht sprechen; sie vermochte nicht einmal noch zu denken. Am liebsten hätte sie sich auf ihn gestürzt, ihn zu töten versucht; nicht weil sie die Überzeugung hegte, sie könnte damit Erfolg haben, sondern weil, wenn er sich wehrte, all ihre Verzweiflung und all ihr Schrecken ein Ende fänden.
»Davies«, sagte Nick mit jetzt lauterer Stimme, »hier ist Nick. Morn ist bei mir, wir sind in ihrer Kabine. Ich hab ihr erlaubt, sich mit dir zu verständigen. Es ist ’ne private Verbindung. Außer mir kann niemand zuhören. Aber ich habe den Eindruck, sie traut mir nicht übern Weg. Vielleicht gelingt’s dir, sie zur Vernunft zu bringen.«
Davies…
»Morn, vertrau ihm nicht«, sagte Davies unverzüglich. »Er hat bestimmt was vor.« Sein Vater war es, der jetzt aus ihm sprach. »Vielleicht muß er irgend etwas rauskriegen, irgendwas, wovon er hoffte, daß du’s mir erzählst. Sag nichts, wenn du nicht sicher bist, es kann kein Unheil anrichten.«
Seine Stimme klang nach Gewißheit, der Art von Sicherheit, die Kinder bei ihren Urteilen auszeichnet. Aber gleichzeitig war er so einsam und verlassen,
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