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Amnion 2: Verbotenes Wissen

Amnion 2: Verbotenes Wissen

Titel: Amnion 2: Verbotenes Wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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ohne sich eine unnatürliche Ruhe aufzuerlegen, die es ihr unmöglich machen müßte, ihn zu töten.
    Sie sah keinen Ausweg. Die Kluft zwischen dem, was sie zu tun hatte, und dem, was sie leisten konnte, blieb unüberbrückbar.
    Morn hockte wieder auf dem Fußboden, kauerte zwischen verstreuten Bordmonturen und von Nässe durchtränktem Bettzeug. Als sie das Z-Implantat aktivierte, war sie irgendwie von ihrem Weg abgewichen. Davor hatte ein irrwitziger, gerissener Teil ihrer selbst genau gewußt, was sie tun mußte. Also galt es, den Kontakt zu ihrem inneren Bestandteil neu zu knüpfen, der nichts preisgab, aber zielgerecht zu handeln verstand.
    Dafür gab es nur ein Mittel.
    Sie mußte die verbliebenen sechs oder sechshundert Stunden ohne künstliche Krücke durchstehen.
    Nein, das konnte sie auf keinen Fall. Ihr Elend war zu groß, als daß es mit ungetrübtem Gemüt zu ertragen gewesen wäre. Schon der bloße Gedanke daran schien ihr das Herz zu zerpressen. Ausschließlich ihr Z-Implantat hielt sie am Leben: Nichts außer seinen Emissionen bewahrten sie vor den Folgen von Vergewaltigung, Hyperspatium-Syndrom, Verrat und Trauer. Sie konnte unmöglich auf diesen Schutz verzichten.
    Wenn sie das schwarze Kästchen abschaltete, wäre sie gegen das wehrlos, was noch kommen mochte.
    Aber ihr blieb gar keine Wahl. Auf andere Weise konnte sie die Kluft nicht schließen.
    In stummer Niedergeschlagenheit, als stünde sie am Ende all ihrer Weisheit, deaktivierte sie nach und nach, eine um die andere, die Funktionen des Kontrollgeräts.
    Sie machte es langsam, um den Streß des Übergangs zu minimieren. Bei Funktion um Funktion verminderte sie in winzigen Abstufungen die Intensität der Emissionen, bis die von ihnen bewirkten Empfindungen verschwanden; endgültig schaltete sie jede Funktion erst ab, nachdem sie Zeit dazu gehabt hatte, sich an den Verlust zu gewöhnen.
    Auf diesem Wege ergab sie sich der Verzweiflung.
    Rings um sie verdüsterte sich die Kabine, jedoch nicht, weil die Beleuchtung nachgelassen oder Morns Augenlicht sich verschlechtert hätte, sondern weil Helligkeit einfach keine Bedeutung mehr für sie hatte. Die Kabine war lediglich ein äußerer Beweis einer inneren Gefangenschaft; eine sichtbare Manifestation ihrer unwiderruflichen Sterblichkeit. Sie war an absolute Grenzen gestoßen. Durch Hoffnung ließen sie sich weder überwinden noch umgehen noch meiden; und genausowenig durch elektronischen Schnickschnack. Im eigentlichen Kräftemessen hatte Nick Succorso, trotz aller Lügen, die sie ihm aufgetischt, trotz aller Geheimnisse, die sie gegen ihn ausgenutzt hatte, sie glattweg geschlagen. Ihr Sohn und das eigene Menschsein waren durch ihr Unvermögen, ein einziges Mal mehr zu sein, als sie war, verraten worden.
    Der Anteil ihrer selbst, der alles durchschaute, weigerte sich, seine Absichten zu erklären. Zuletzt verblieb Morn nichts außer der trübsinnigen, ruhelosen Abstumpfung des Wahnsinns.
    Aber sei dabei still. Nur zu, verlier den Verstand. Aber still.
    Ohne auf das Blut zu achten, das ihre Hände verkrustete, fing sie an, gemächlich mit Locken ihres Haars zu spielen. Einige Zeitlang wickelte sie sie um ihre Finger, verflocht sie zu zierlichen Möbiusstreifen, endlosen Metaphern. Später zerlegte sie sie in immer dünnere Strähnen. Als sie so fein waren, daß sie einzelne Haare fassen konnte, begann sie sie auszuzupfen.
    So sank sie durch die Tiefe ihrer Verzweiflung ab in eine Art autistischen Friedens.
    Wie die Kabine, in der sie gefangensaß; ihr Körper, der ihr soviel Leid eingehandelt hatte; und sämtliche anderen äußerlichen Hürden, die ihr ihre Nutzlosigkeit bewiesen hatten: So wie all das verlor auch die Zeit für sie ihre Bedeutung. Sie verstrich, ohne daß es Morn noch kümmerte. Ihre Hände schmerzten, und irgendwann auch ihre Schädeldecke; doch Schmerz war ebenso bedeutungslos geworden.
    Sie hatte keinerlei Ahnung, was überhaupt geschah, als sich ihre Tür öffnete. Sie ersah aus diesem Vorgang keinerlei Aufschluß.
    Furchtsam und verstohlen, als müßte er sich vor einer Horde Furien verstecken, kam Sib Mackern herein und schloß die Tür.

 
21
     
     
    »Morn.« Mackerns Flüstern war von der Eindringlichkeit eines Aufschreis. »O Gott…«
    Stumpfsinnig stierte Morn ihn an, als wüßte sie nicht, wen sie sah.
    »Morn.« Schweiß perlte ihm übers bleiche Gesicht, ließ sein spärliches Schnurrbärtchen dunkler wirken. »Steh auf.« Sein Atem ging ungleichmäßig, nicht

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